Junger Reiter- altes Pferd, alter Reiter- junges Pferd?

Junger Reiter-altes Pferd

Junger Reiter-altes Pferd, alter Reiter- junges Pferd ist eine Weisheit die jahrhundertelang einer der Grundsätze im Umgang des Menschen mit dem Pferd war. Anders, als es uns heute ( finanziell) möglich ist, war es jahrhundertelang so, dass ein Pferd früher kein "Hobby" war, sondern immer eine Profession: der Landwirt brauchte den Partner Pferd, um sein tägliches Brot erwirtschaften zu können, der Adlige brauchte sein Pferd- oder seine Pferde- weil Reitkunst ein fester , immens wichtiger Teil höfischen Lebens war


Das höfische " Maneggiare", das Pferdekarroussel war Mittelpunkt höfischen Lebens und wurde auch genau dort abgehlaten: im Mittelpunkt des Geschehens. Wer sich hier durch seine Reitkunst hervortat, gelangte schnell zu Ehren und Ansehen

Die " Carriére", die Reitbahn, in der Reitkunst im höfischen Alltag Anwendung fand war viel mehr als nur " Übung für den Ernstfall". Schon mehr als einhundert Jahre vor Erscheinen der " Maneige Royal" , aus der dieses Bild stammt, waren Zweikämpfe mit Blankwaffe zu Pferd im Krieg immer unüblicher geworden.


Nicht nur das Prestige, sondern durchaus die Existenz eines gesamten Adelsgeschlchts konnte davon abhängen, wie der Herr von Stand sich zu Pferde präsentierte: ein guter Reiter galt immer auch als ein guter Herrscher, wurde geehrt und belehnt, mit Ämtern, Titeln und Land. Das " Maneggiare", das höfische Pferdebalett, hatte mit seinen Carroussels, seinen stilisierten Turnieren auf der Reitbahn, ( diese nannte man Carrière)  und inszenierten Showgefechten einen deutlich höhreren Stellenwert im höfischen Leben, als bloss für " Zerstreuung " zu sorgen, sondern das Üben von Reitkunst war Teil des täglichen Tagesgeschehens und Mittelpunkt von gesellschaftlichem Leben, man betrieb " Networken" bei der Pferdeausbildung so, wie man es heute beim Golfspielen betreibt... Der "Comte d`Êtables"- der " Connêtable" in Frankreich zum Beispiel war nicht nur oberster Stallmeister, sondern auch Heerführer und  Exekutive des Landes.   Pferdeausbildung war höfisch, Pferde waren fester Teil der Gesellschaft, sie zu schulen, zu reiten, zu präsentieren , mit ihnen und dank ihnen " Karriere zu machen " war kein Hobby, sondern von größter Wichtigkeit.  Nicht umsonst wurden bedeutende Persönlichkeiten der Geschichte mit Pferden abgebildet- obwohl sie vermutlich ebenso Hunde oder Katzen hielten.


An der Hohenzollernbrücke in Köln: Verewigung der Herrscher Preussens mit ihren Pferden. Eins der vielen Beispiele für die Ehrung gekrönter Häupter mit ihren Pferden in ganz Europa.


Vor den zwei Weltkiregen war allen Pferdebesitzern gemein,  dass sie in den Umgang mit Pferden hineinwuchsen: sei es die empirische Erfahrung , die im ländlichen Bereich der Grossvater, Vater oder Onkel an den Jungen weitergab, oder aber die Schulung des jungen Adligen in der Renaissance von frühester Kindheit an, in all den Dingen, die es brauchte, ein guter Reiter zu sein: die Kavallierstour gehörte spätestens seit der Veröffentlichung des Regelwerkes zur Reitkunst, der "Gli ordini die Cavalcare" von Federico Grisone 1550 zur höfischen Pflicht des jungen Adligen. In diesen hielt er seine Erfahrungen und seine Anweisungen fest, die er seit der Gründung seiner Reitakademie um das Jahr 1530 herum im damals zu Spanien gehörenden Neapel gegründet hatte. Innerhalb von wenigen Jahrhzehnten wurden in ganz Europa " Ritterakademien" ( "Reiterakademien") nach dem Vorbild der Akademie und den Regeln Grisones in Neapel gegründet .


Die Verbreitung der "Ritterakademien" in Europa im 17. Jahrhundert: rasant schnell gehörte die " Cavallierstour" zum Pflichtprogramm für junge Adlige. Mit der französischen Revolution 1789 veränderte Reitkunst sich: die adeligen Hofhaltungen wurden abgeschafft, die Reitkunstpferde wurden in den endlosen Feldzügen Napoleons als Soldatenpferde rekrutiert und der einzige Ort, den dem zur Erbauung eines Publikum geritten wurde, war zunehmend der Zirkus

Voltigieren, Tanzen, Fechten und Musik, aber auch Staatskunst gehörten zur Ausbildung der "Cavalliere" ( cavallo= ital. "Pferd")


Und heute?

Obwohl- oder gerade weil ?- wir heute so viel Möglichkeiten haben, uns Wissen über Pferde anzueignen, schein es noch nie soviel Verwirrung darüber gegeben zu haben, was denn nun " richtig" oder " falsch" ist. Wem können wir vertrauen? Von wem können wir lernen?


" Also lautet ein Beschluß,
Daß der Mensch was lernen muß. -
Nicht allein das Abc
Bringt den Menschen in die Höh';
Nicht allein in Schreiben, Lesen
Übt sich ein vernünftig Wesen;
Nicht allein in Rechnungssachen
Soll der Mensch sich Mühe machen,
Sondern auch der Weisheit Lehren
Muß man mit Vergnügen hören. -"

Wilhelm Busch , Max und Moritz 1865


Erstmals in der gemeinsamen Geschichte von Mensch und Pferd befinden wir uns in einer Ausnahmesitaution: wir haben zwar eine gemeinsame Vergangenheit - und doch haben wir sie oftmals nicht, zumindest nicht persönlich.

Und fehlt ein Lehrer, ein Leiter, ein Mentor in "Sachen Pferd", der uns diese faszinierenden Wesen erklärt. Ihren Körper, ihren Geist, wie sie sich bewegen, wie sie lernen, wie sie leben.


Wie bewegt sich ein Pferd? Ein junges Perd? Ein altes Pferd? Wie verhalten sich Hengste, Stuten, Fohlen in einer Herde? Was ist natürliches Pferdeverhalten? Das ist vielen Pferdebesitzern heute nicht mehr bekannt, Fehleinschätzungen sind die Folge, selbst über Grundgangarten wird gestritten, statt sie einfach zu beobachten. Im Bild: ein Teil der Herde der Glenmorgan Farm, Susen Fischer-Henkel


In Zeiten von Renaissance und Barock war das einfach: Umfassend war die Schulung in der "Ritterakademie"  in Musik, Tanz, Fechten , aber auch Staatskunst- heute vielleicht zu übersetzen mit "Kommunikationscoaching, Konfliktlösungsstrategien und Persönlichkeitsschulung" . Alle diese Fähigkeiten gehörten genauso dazu wie das Voltigieren auf dem Holzpferd und natürlich die Reitkunst. Niemand wäre hier allerdings auf die Idee gekommen, dem Eleven ein ungeschultes Pferd zu geben: eindeutig wäre der Schüler hier überfordert gewesen!

Spezielle Anfoderung wurden an Charakter und Verhalten an diejenigen gestellt, die Umgang mit Jungpferden hatte, damit ein guter Start in die Reitkunst gewährleistet wurde ( Wer mag, kann dazu HIER  und  HIER weiterlesen)



Von einem erfahrenen Pferd kann man jede Menge lernen. Wohl dem, der die Gelegenheit hat, mit solch einem " Professor" arbeiten zu dürfen! Aber: was das Pferd nie gelernt hat, das kann es auch nicht weitergeben.

Nyx bei der Arbeit mit einer unserer Schülerinnen: sein Wissen und seine Souveränität helfen, das handwerkliche Können , einen immens wichtigen Teil der Pferdeausbildung zu begreifen und zu üben, ohne dass es zu Missverständnissen kommt. Das geschulte Pferd ist hier Lehrer, der Mensch der Schüler- der sein neu erworbenes Wissen und Können dann an das eigene Pferd gelassen und souverän weitergeben kann.


Ganz im Gegenteil: je weniger der Schüler konnte, desto "altgedienter" war das Pferd , das er unter Anleitung des Reitmeisters arbeiten durfte. Hier war immer ganz eindeutig , wer der Lehrende und wer der Lernende ist: der Reitkunstschüler Mensch lernt vom "Reitkunstprofessor"  Pferd.

Und wenn das Pferd nicht weiter weiß, dann war ja immer noch der Reitmeister da, an dem Beide sich orientieren konnten: er wird es schon richten!


Das berühmteste " Making of" in der Geschichte der Reitkunst: ein ganzes Buch umfasst das "Coaching" des jugendlichen französichen Königs Ludwig III durch seinen Vertrauten, Lehrer und Mentor , den " Ecuyer Principal" Antoine Pluvinel, das post mortem in der " Maneige Royal" und der  "L`instruction du Roy" festgehalten wurde.

Zusätzlich ist es allerdings auch eine Art " product placement" für den jungen König Frankreichs, der als Jugendlicher in sehr unruhigen Zeiten in Europa als potenter Herrscher gelten musste. Wer so gut reitet, so dachte man im Frühbarock, ist natürlich auch ein hervorragender Landesfürst!


Mit der französischen Revolution veränderte auch die höfische Reitkunst sich und spätestens seit den zwei Weltkriegen im letzten Jahrhundert ging nicht nur das Wissen der Reitakademien , sondern auch das Können, also die tatsächliche, sichtbare, erlebbare Reitkunst der höfischen Kultur verloren. Was für ein Verlust für uns das wirklich ist, können wir nur erahnen, wenn wir lesen, wozu Reiter vor 500 Jahren scheinbar mühelos in der Lage waren: Bewegugnsabläufe, wie sie in den Reitkunstbüchern von Renaissance und Barock selbstverständlich beschrieben sind, liegen für die allermeisten Reiter heute in ganz weiter Ferne. Dort, wo heute die Pferdeausbildung endet, begann sie vor 500 Jahren oft, was bei uns heute als die "höchste Kunst" ist, war damals der Abschluss der Grundausbildung.

Heute können weder Reiter, aber auch die Pferde nicht mehr das ausführen, was mal " natürlich" - weil eigentlich in der Natur des gesunden Pferdes liegend- und kunstvoll, dabei aber nicht künstlich war. Es mangelt an Vorbildern, sowohl für Mensch, als auch Pferd! Nicht nur wir haben vergessen, durch Haltung und Arbeit gewöhnen wir unseren Pferden ihre natürliche Bewegung ab. Macht sie uns Angst? Oder sind wir schlichtweg nicht mehr gewohnt, wie Pferde sich bewegen, weil wir heute nur " künstliche " PFerdebewegung sehen gelernt haben, und ein ganz falsches Bild schon über die Grundgangarten , die Erarbeitung von Lektionen, die Wichtigkeit und Bedeutung ihrer inhaltlichen Ausführung, die Haltung des tragfähigen Pferdes und gesunde Bewegung gemacht haben? Haben wir Pferden mit unserem modernen Training , unserer Haltung und unserem modernes Verständnis von Lernpsychologie nicht einen Teil ihrer Nautr genommen?

 


Schon das Fohlen auf der Weide, erklärt W. Cavendish, Herzog von Newcastle, könne alle Figuren der Hohen Schule. Sie sind im natürlichen Bewegungsrepertoire des gesunden Jungpferdes vorhanden- aber abrufen oder gar für die Gesunderhaltung des Pferdes nutzen lassen sie sich nicht. Dazu ist Schulung notwenig.

Ein Pferd, das in der Herde aufwächst ist maximal kompetent in Sachen Pferdekommunikation. Im Zusammensein mit ihm bietet sich dem Menschen eine gute Chance, " Pferde verstehen" zu lernen. Aber: obwohl Reitkunst niemals künstlich sein darf, weiß ein ungeschultes Pferd noch nichts von ihren Inhalten, die in einem Dialog mit Körper und Geist des Menschen besteht.


Hier zeigt sich das nächste Problem: wenn wir nicht mehr von den PFerde lernen können, weil sie gar nichts wissen von dem, was wir da lernen wollen- wer ist dann die Kompetenz? Ratlosigkeit auf Seiten von Mensch und Pferd muss zwangsläufig zu Missverständnissen führen.


Kreisbahn, Bande, Zäumung, die Körpersprache des Menschen- alles das ist für Pferde nicht von Natur aus verständlich. ein Lernprozess startet, die " Reise Reitkunst" beginnt behutsam, damit das Pferd uns verstehen lernt. Der Dialog entsteht.

Bild: M. Glahe

Missverständnisse zwischen Mensch und Pferd begründen sich in der Regel durch Unverständnis, das oft genug eine Folge von Unwissen ist. Hier schafften die Akademien Abhilfe.


Im Grunde bestürzend ist es, dass heute der Amateur, also der, der sich der Wortbedeutung nach aus Liebe ein Pferd hält, im Grunde sein eigener Experte werden muss: passt der Sattel wirklich oder will der Sattler nur verkaufen? Läuft das Pferd nach der Hufbehandlung, Therapie, Anwendung besser , oder wenn nicht: ist das Teil eines Gesundungsprozesses oder hat trotz bester Absicht das Eingreifen des Menschen etwas verschlimmbessert?  Zu wessen Nutzen dient ein Training, was hat sich verbessert- oder ist eine Verbesserung nur deswegen zu sehen, weil sie zu sehen sein soll? Verbesserung von WAS eigentlich? Die Unsicherheit ist groß!

 


" Die Kenntniß der Natur eines Pferdes ist eines der ersten Hauptstücke der Reitkunst, worauf jeder Reiter vorzüglich studiren muß." Francois Robichon de la Gueriniere, 1733


Ganz klar ist: die allermeisten Pferdebesitzer lieben und wertschätzen ihre Pferde sehr, wollen für sie nur das Beste. Schnell zahlen sie hier Lehrgeld an diejenigen, die vielleicht laut schreien, aber im Grunde sehr wenig zu sagen haben. Das eigene Pferd desjenigen, der weise Worte von sich gibt, ist dabei dessen Visitenkarte: sieht es gesund aus? Wie sieht das Auge aus? Gibt es die Möglichkeit, diese Pferde mal selber in Augenschein zu nehmen? Nicht ein sympathischer Auftritt ist wichtig in der Pferdeausbildung, sondern der Inhalt der Arbeit. Minimalvoraussetzung  ist, dass dieser Inhalt in wirklichem Wissen rund um das Pferd und nicht rund um public relations besteht.


"Die Sucht aus Allem Alles zu machen, scheinbar allen Ansprüchen zu genügen, keine Spur von menschlicher Schwäche und Unvollkommenheit sichtbar werden zu lassen , diese heillose Sucht , welche jeden Übelstand vertuschen möchte und einen gleissenden Schleiher der Lüge über alles breitet damit es aus einiger Entfernung nur scheint und glänzt ; jene Sucht, welche an die Lüge gewöhnt und die Wahrheit als plump, ungeschickt und bäuerisch verspotte: sie ist es, welche jene Übelstände zu wesentlichen Fehlern macht, wo sie nur Unschönheiten sein könnten, und das Auge so verwöhnt hat, dass es über die Abweichungen von der Schablone, so sehr sie auch durch die Nützlichkeit motiviert sein mögen, nicht mehr hinweg kann.

Allerdings ist die Grenze schwer festzustellen und manche Trägheit und Nachlässigkeit würde darin eine leere Ausrede für die Abweichung finden. Es wird indes gewiss dem Auge des prüfenden Vorgesetzten nicht entgehen, ob das kleinere von zweien Übeln gewählt oder ob eine Vernachlässigung vorliegt und dann der eine Fall der verdienten Billigung , wie der andere dem verdienten Tadel nicht entgehen. Wer aber nur Paradiese sehen will, muss sich nicht wundern, gemalte Bäume zu finden."

Friederich von Krane, 1856


So gilt heute mehr denn je: es kann sich nur derjenige eine Meinung bilden, der gebildet ist. 500 Jahre Reitkunstgeschichte verbinden Mensch und Pferd- ihr Studium ist gerade heute mehr als lohnenswert. Nicht, um zu kopieren, sondern um Möglichkeiten zu wissen. Vielleicht sind viele der dort beschriebenen Ideen gar nicht alt, sondern erprobt und  deshalb für gut befunden?