Warte mal...die Ausbildung des jungen Pferdes

Warte mal…oder: immer langsam mit den jungen Pferden.


Dem jungen Pferd ein Gefährte für`s Leben werden: das ist das Ziel des Pferdebesitzenden


Wenn man sich ein junges Pferd kauft, dann begibt man sich auf eine spannende Reise .Was für ein Glück, so ein zauberhaftes unbedarftes Wesen begleiten zu dürfen! Was für eine Aufgabe!

 

So ein junges Pferd ist wie ein weißes Blatt Papier, es hat noch keine  Erfahrungen, keine Meinungen, es ist weich, formbar, ungeprägt. Xenophon, der uns als einer der größten Reitmeister aller Zeiten gilt , hat solch großen Respekt vor dieser Aufgabe, dass er erklärt, nur junge Menschen würden junge Pferde ausbilden, weil ältere Reiter genau wüßten , welche Gefahren und Stolpersteine auf dem gemeinsamen Weg mit dem Jungpferd lauern können, die dem Pferd unabsichtlich größten Schaden zufügen können. Entscheiden wir uns dafür, ein junges Pferd zu kaufen, ist es also unsere Aufgabe, ihm einen möglichst guten Start ins Leben zu ermöglichen.


Das Aufwachsen in einer intakten Herde auf der Weide mit viel frischer Luft und Bewegungsmöglichkeiten

ist das Beste für eine spätere optimale  Entwicklung . Mehr an Anreiz braucht es für Fohlen erstmal nicht. Sie langweilen sich nicht, sondern lernen, Pferd zu sein. Das ist Aufgabe genug!


Die alten Meister hatten ganz klare Vorstellungen, ab wann ein Pferd ausgebildet werden kann: in der Regel mit ungefähr 5 Jahren, oft aber auch erst mit  6 wurde das junge Pferd angearbeitet.  Bis zur Vollendung des fünften Lebensjahres wurde es oftmals noch als "Fohlen " betitelt , eine Tradition, die sich auf der iberischen Halbinsel noch bis vor wenigen Jahrzehnten in den Fohlenklassen der Ferias findet.

Gueriniere nimmt sogar das junge Pferd erst sechs- bis achtjährig in eine sehr behutsame Arbeit, warnt immer wieder davor , seine Schwächen zu beachten, es nicht zu stark zu versammeln, zu biegen oder unter irgendeinen Zwang zu bringen.


Alle Figuren der Hohen Schule kann das Fohlen von allein, erklärt William Cavendish, Herzog von Newcastle. Das ist also nichts, was wir dem PFerd " beibringen" müssen- oder können. Der Inhalt des Trainings muss also auf Kommuniaktion liegen- und das ist so schwierig . Für uns Menschen, die wir viel zu oft unseren Willen durchsetzen wollen und für das Pferd, das alles Recht machen will und sich dabei nur viel zu leicht " verbiegen" läßt. Je jünger es ist, desto wehrloser ist es gegen unsere Absichten.

 

 

 

Unsere Amy mit eineinhalb Jahren : Spiel und Spass im freien Lauf auf der Weide mit der Herde. Schon jetzt ist ihr Talent offensichtlich.


Heute erscheint uns das reichlich spät, sehen wir doch oft genug Zweijährige in der Bodenarbeit oder Dreijährige, die „ an Sattel und Reitergewicht“ gewöhnt werden.  Nicht, dass diese jungen Pferde das in diesem Moment nicht ableisten könnten- zumindest scheinbar- ihre Neugier ist oft so groß, dass sie für jede Abwechslung zu haben sind. Aber: sollte man diese Neugierde ( aus -)nutzen? Hat man nicht als der Wissende, der Erwachsene in dieser Beziehung eher die Verpflichtung, solch ein Pferd  vor sich selbst zu bewahren, indem man zum Wohl des Pferdes, das es seinem Menschen Recht machen will und oft mehr durch Temperamt als körperliche Fähigkeit über seine Grenzen hinaus leistet , es im Zweifelsfall eher ausbremst statt den Anspruch mehr und mehr zu erhöhen? Das Verlassen der Herde, Konzentration auf den Menschen, Anbinden, Stillstehen, Abläufe des täglichen Handling sind schon mehr als ausreichend als Input für das Pferd, das noch im Heranwachsen ist. Alles das, was darüber hinaus geht,  kann schnell in Überforderung umschlagen. Werden dauerhaft Aufgaben oder Fragen gestellt, die das Jungpferd nicht lösen kann, fällt es in eine erlernte Hilflosigkeit: es möchte die Spielregeln verstehen und keine Fehler in der neu entdeckten sozialen Beziehung machen, weiß aber nicht oder hat noch keine Möglichkeit, das " Wie " herauszufinden. Gerade dann, wenn ein Fohlen körperlich schon fast ausgewachsen scheint,immerhin hat ein zweijähriges Pferd ca. 90 % seiner späteren Größe erreicht,   könnte der Mensch verlockt werden, zu früh zu viel zu wollen, weil das Pferd " brav" alles mitmacht.


Ein junges Pferdekind: voll Tatendrang auf großen Sprüngen ins Leben.


 In der Renaissance ging man systematisch vor und bildete erst den Geist, dann den Körper des Pferdes aus. Zuerst lehrte man es Hilfengebung, dann schulte man die Balance, dann wurde es langsam zum Reitpferd ausgebildet. Dieses Alter hatte einen guten Grund: erst dann ist das Pferd in der Regel körperlich so ausgewachsen, dass Gelenke stabil sind, Knochenstrukturen stark genug und auch Gebiss und Hufe des Pferdes in einer Form sind, die Balance überhaupt erst möglich machen. Viel wichtiger ist jedoch, dass das Pferd mit Erreichen seiner vollen körperlichen Stärke auch mental erst in einen Zustand kommt, ein echter Partner sein zu können. Gueriniere nahm deshalb die Pferde erst ausgereift auf die Reitbahn, er wollte das Pferd auf Augenhöhe schulen.

 


Das Fohlen lernt, sich führen zu lassen: Galiberto beschreibt in im Übergang von der Renaissance zum Frühbarock eine Praxis, wie sie der Natur des Pferdes gerecht wird. Wie das Fohlen in Mitten der Herde eingeschlossen wird und sich so am wohlsten fühlt, wird es mit der Assistenz von Helfern so geführt, dass es möglichst sicher fühlen kann und immer von der treibenden Hilfe antritt. Wichtig: es kommt kein Zug auf das empfindliche Genick, die Gerten in den Händen der Helfer dienen als optische Begrenzung. Das Fohlen bei Galiberto ist zwischen 5 und 6 Jahren alt.


Wenn wir heute Pferde ausbilden, dann gibt es nur einen einzigen Grund, der ethisch vertretbar ist: zum Nutzen des Pferdes muss diese Ausbildung sein. Keinen anderen Grund mehr kann es für uns in unserem Kulturraum sonst noch geben, der moralisch einwandfrei ist.

 

Wenn wir also ein junges Pferd ausbilden wollen, dann wird auch an uns ein Anspruch gestellt, der vor allem damit zu tun hat, dass wir keine Erwartungen an ein Gegenüber stellen, es in Situationen bringen, die es langfristig mental überfordern. 

 


Äußere Umstände machen es heute meist unumgänglich, dass ein Pferd schon viel früher das Führen lernen muss, als es in Zeiten von Renaissance und Barock der Fall war: der Umzug vom Züchter zum Besitzer kann so ein Fall sein, wie es auch bei uns war. Hier ist besonders behutsames Vorgehen gefragt, um nicht aus Versehen falsch zu prägen.


Das Warten ist das wichtigste Element, wenn wir mit jungen Pferden Umgang haben. Warten hat hierbei durchaus verschiedene Komponenten: da ist einmal das Abpassen des rechten Moments , das Timing, in dem wir die Frage stellen dürfen, auf die das Pferd schon eine Antwort finden kann.

 

Gleichzeitig sind wir aber auch Wärter über das Leben des Pferds, das in unsere Hand gegeben wurde: kann es sich bei uns in Sicherheit fühlen? Ist es körperlich und geistig gut aufgehoben bei uns? Wie der Torwart, der seine Mannschaft vor Niederlagen bewahrt, indem er das Tor frei von Treffern hält, muss der Besitzer des jungen Pferdes darauf achten, dass das ihm anvertraute Leben so frei von Betroffenheit und Treffern bleibt, wie nur irgend möglich.

 

Dann stehen wir auf der Warte, wir sind auf einem Beobachtungsposten und observieren das Pferd, , ähnlich dem Astronomen auf der Sternwarte : wir sehen Dinge, greifen aber nicht ein. Wir müssen nichts machen, wir nehmen nur wahr, so wie der Astronom den Lauf der Sterne sieht, aber keinen Einfluss auf ihn hat und auch nicht haben muss.

 

Gleichzeitig jedoch haben wir auch die Verantwortung über die Wartung des Jungpferdes, wie unser Auto regelmäßig zur Wartung zum Fachmann geht. Hierbei machen wir eine Bestandaufnahme: in welchem körperlichen Zustand ist das Jungpferd? In welchen sozialen Bindungen lebt es? Wie verhält es sich dort, wie entwickelt es sich? Wirkt es glücklich und gesund?  Auch hier geht es darum, dass wir das Pferd sehen , dass wir es wahrnehmen lernen in seiner individuellen Art, seinen Vorlieben, Abneigungen, Verhaltensweisen. Wir dürfen nicht formen wollen , das          „Material“  Pferd könnte in unseren Händen ob seiner Weichheit sonst wie warmes Wachs verformt werden.



Antoine de Pluvinel sagt in seiner  „L´instruction du Roy de monter au cheval ( 1629) : „ und soll man wohl zusehen, wo es sonsten möglich ist das nit zuerzornen, damit man ihm sein Wackerheit nit benembe, dann  ie bei den Pferden, gleich wie die Blum auf den Fruchten

ist , nachdem sie hinweggenommen, nimmermehr wieder darauff gefunden wirdt: ebender Gestalt ist es mit den Pferden welche von einem leichten Schrot und voller hitzigkeit sein beschaffen“,  oder „Die Anmut des jungen Pferdes ist wie die Frucht der Blüte, einmal verloren kehrt sie niemals mehr zurück.“

 

Für die Alten Meister war klar: junge Pferde bildete nur derjenige aus, der sich durch besondere Charaktereigenschaften qualifizierte. " Cavalcadour de Bardelle" wurden diese Männer genannt, die, wie F.R. de la Gueriniere schreibt extrem diszipliniert und geduldig waren: " Niemals aber wendeten sie hierbei Strenge und Gewalt an ehe sie nicht die gelindesten Mittel, die sie nur ersinnen konnten, versucht hatten; und durch diese sinnreiche Geduld machten sie ein junges Pferd vertraut und freundschaftlich mit dem Menschen, erhielten ihm seine Kräfte und seinen Muth, machten es fromm und dem ersten Unterricht gehorsam. Ahmte man dem klugen Betragen jener alten Pferdeliebhaber noch nach, so würde man weniger lahme, verdorbene, widerspenstige und falsche Pferde sehen."

 


Junge Pferde sind neugierig. Aber: sie müssen Zeit genug haben, um in ihrem individuellen Tempo die Welt kennenlernen zu dürfen. Druck und Stress in jungem Alter führen zu biochemischen Prozessen im Pferdegehirn, die auch in späteren Jahren eine erhöhte Stressanfälligkeit produzieren können: das Pferd ist  "durch die Uhr gedreht"


Viele Schäden, die uns in späteren Jahren Probleme machen, entstehen in den ersten vier Jahren im Leben des Pferdes. Schädigungen an der Halswirbelsäule , weil das Pferd sich beim Führen oder Anbinden in ein stabiles Halfter gehängt hat und An- oder sogar Abrisse in Muskulatur und Bindegewebsstrukturen davonträgt. Fehlstellungen der Hufe , weil das Pferd zu früh zusätzlich mit Reitergewicht belastet wurde oder zu viel Muskulatur aufgebaut hat und somit ein Gewicht bekommt, das die weichen Strukturen in den juvenilen Hufen des Pferdes verformt. Zungenbeinblockaden oder Kiefergelenksschädigungen, weil zu früh mit dem falschen Gebiss eingewirkt wurde oder aber sogar Verformungen des Schädels und des Brustkorbes im Bereich der  Rippen durch zu enges Verschnallen von Reithalfter , Kappzaum oder Sattelgurt.

 


Deutlich zu sehen: die Verformung der Schädelknochen durch ein zu eng verschnalltes Reithalfter am skelettierten Schädel. Dieses Pferd wurde nur drei Jahre alt, bevor es nach dem Anreiten sein Leben ließ; die bleibenden Zähne waren gerade im Durchbruch ( Mitte unten im Bild zu sehen).


Gerade dann, wenn man beim jungen Pferd oder womöglich schon Fohlen Talent sieht, wenn man sieht, welche Anlagen das Pferd von Natur aus mitbringt, ist besondere Vorsicht geboten. Der erfahrene Ausbilder wird einem solchen Pferd in Ruhe Raum und Zeit geben, sich zu entwickeln.

 

Auch oder gerade dann, wenn es vielleicht verlockt, schon so früh wie möglich das Potential des Pferdes zu fördern, sollte man nie vergessen, dass man es im Grunde genommen mit einem Kind zu tun hat. Und ist Unbeschwertheit und Freiheit von Zwängen nicht das, was uns alle am Positivsten an unserer Kindheit in Erinnerung geblieben ist?


Unsere Amy als Fohlen

...und zweijährig: die Anlagen sind die selben geblieben.

Mit fast sechs Jahren kommt Amy langsam in ihre volle Karft: das Potential ist unverändert.

 


Und dann, wenn der richtige Zeitpunkt gekommen ist, wenn man ein Pferd hat, das an Körper und Geist gesund und erwachsen ist, dem Leistung durch Zucht oder Anlage im Blut liegt, dann muss man nur so lange warten, bis das Pferd so weit ist, von sich aus diese Leistungsfähigkeit zu zeigen- und dann braucht man sie einfach nur zuzulassen.

 


Amy, fünfeinhalbjähring, in der Bodenarbeitstechnik des Cross-Over. Wir beginnen vorsichtig mit einer formgebenden Arbeit.

Nur ein Körper, der sich ökonomisch bewegen kann, bewegt sich so verschleißfrei wie möglich. Das ist das Ziel einer reellen Arbeit im Sinne des Pferdes...


Auf hoffentlich noch ganz viele gemeinsame Jahre mit meiner Amy!