Tante Erna und die Zeit- ein Apell an die Freude

Tante Erna und die Zeit- ein Apell an die Freude


Das Zusammensein mit unseren Pferden sollte für uns wertvoll und besonders sein


Heute, in Zeiten der Maxime HÖHER, WEITER, SCHNELLER geht uns im Umgang mit unseren Pferden oft das Wichtigste verloren: die Freude.

 

Wozu, wenn nicht zu unserer Freude haben wir heute Pferde? Wozu, wenn nicht zu ihrem Benefit und ihrer Freude arbeiten wir unsere Pferde? Welcher andere Zweck ist heute noch ethisch und ökonomisch vertretbar?

Für viele von uns, eingebunden in Job, Familie, Freundeskreis und Freizeitaktivitäten fehlt oftmals die Luft zum Atmen. „Das Pferd arbeiten“ ist einer der vielen Punkte auf unserer Agenda, die abgehakt werden muss. Werden muss? Wirklich?

 

 


Viele von uns wünschen sich eine Entschleunigung. Das ist wichtig, um seine Aufmerksamkeit auf das Wesentliche fokussieren zu können. Für viele Pferdebesitzer ist die Zeit am Stall eine Auszeit- oder eben genau nicht. Wir entscheiden, wie wir dies empfinden.


In jeder Familie gibt es dieses eine Familienmitglied, das ein „Pflichtbesuch“ zu Familienfesten ist. Diese Person , oftmals allein, wird herumgereicht und schon im Vorfeld heißt es: „ Dieses Jahr seid Ihr dran, wir waren es schon beim letzten Mal !“ Nennen wir diese eigentlich unerwünschte Person, diesen Pflichttermin Tante Erna.

 

Nicht, dass Tante Erna nicht immer dankbar wäre, wenn sie denn Anschluss an ihre einzigen Lieben hat, oder? Und eigentlich ist sie umgänglich, ein bisschen anders als wir eben. Was für uns ein Pflichttermin ist, ist das Highlight in Tante Ernas Monat, vielleicht sogar Jahr.

 

 

 


" Ich habe den ganzen Tag auf Dich gewartet"- was für ein Geschenk, dass das Pferd uns einen Platz in seinem Leben einräumt. Wertvoll ist das vor allem dann,  wenn das Pferd auch ohne uns ein ausgefülltes Leben hat und so wählen kann, ob es mit uns Zeit verbringen will. In der Möglichkeit der Wahl liegt die Qualität der Antwort


Was Tante Erna jetzt mit Pferdeausbildung zu tun hat? Für unsere Pferde ist das tägliche Treffen mit uns vielleicht auch genau so ein Termin, auf den es sich gefreut hat. Und wir kommen zum Stall, beladen mit unserem Alltagsstress, wollen „ mal eben schnell“ das Pferd trainieren oder zumindest bewegen. Dabei klappt vielleicht nicht alles so , wie es soll, das Stresslevel steigt und Missverständnisse mit dem Pferd entstehen. Leidtragender von diesen Missverständnissen ist in der Regel das Pferd, statt besonnener Ruhe, die für Pferde so wichtig ist, wird aufgerüstet und Gewalt genutzt. Diese fängt nicht bei Gerte und Sporen an, sondern beim psychologischen Druck und natürlich unserem körperlichen Ausdruck unserer Emotionen , die wir übertragen: für unsere Pferde ist das, was wir in diesem Moment fühlen die Realität in unserer gemeinsam verbrachten Zeit. Mit ihren feinen Antennen und ihrer großen Fähigkeit zur Empathie sehen sie , was uns bewegt und reagieren so, wie ihre Natur es ihnen vorgibt. Das ist uns oft unverständlich, wir sind frustriert und können nicht mehr mit dringend benötigter Gelassenheit dem Pferd die notwendige Sicherheit geben. Viele von uns reagieren über und das Pferd wird zum Blitzableiter für unsere Stimmung, einzig allein dadurch, dass es uns den Spiegel vorhält und wir nicht ertragen können, was wir da über uns erfahren. Wird das zum Dauerzustand, dann ist die Beziehung ernsthaft gefährdet. Pferde verzeihen zwar Vieles, aber sie vergessen nichts.

 


" Scientia vs.Robur"- Wissenschaft statt Gewalt predigt Antoine de Pluvinel in seinem 1623 posthum erschienenen Werk " Le Maneige Royal".
Wie kein Zweiter geht Pluvinel dabei mit Logik und Feingefühl , sowie größtem pädagogischen Geschick vor.

Durch die gemeinsame Arbeit soll die Beziehung zwischen Mensch und Pferd sich verbessern. lst das nicht der Fall, muss die Arbeit überdacht und neu organisiert werden. Reitkunst soll verbinden, nicht trennen.


Wer ist mein Pferd in meiner Lebensplanung? Warum habe ich mir dieses Pferd ausgesucht, was habe ich gesucht? Oder: was sollte dieses Pferd mich lehren? In der Renaissance war es üblich, dass junge Adlige aufbrachen, um auf der „Cavallierstour“ (  ital. : cavallo = Pferd) von Reitmeister zu Reitmeister in ganz Europa zu reisen und sich darin zu bilden, was es braucht, ein guter Ritter ( altd.: Reiter) , ein Kavallier zu sein. Erfahrene  Lehrpferde standen zur Verfügung, die dem Menschen erklärten, was Souveränität wirklich bedeutet: in der Schreibweise der Zeit war der Herrscher der Souvereign (s´ouvre reign = „der sich öffnende Zügel “) . Nur derjenige , der ( sich) ein Stück weit loslassen kann, kann ein logelassenes Pferd erwarten. In diesen Reitakademien haben Pferde Menschen darin geschult, was Ritterlichkeit bedeutet. Tugenden wie:  zu seinem Wort zu stehen, Rücksichtnahme gegenüber Schwächeren, Vergebung, vor allem Demut- solche Dinge können wir von Pferden lernen. Pferde tun uns gut, aber tun wir unseren Pferden gut?

 

( Siehe auch: Emotion oder Gefühl für das Pferd?)

 


Loslassen und den Moment genießen, im Hier und Jetzt: für uns ist das heute wertvoll. Wir können von unseren Pferden lernen, wie das gehen kann

Manchmal ist es sinnvoller einfach mal " Nichts " zu tun. Das  Möhrchen am Abend kann für die Beziehung gewichtiger sein als die Arbeit an Trainingsinhalten


Angemessenes Training in Hinblick auf das Wetter,  die Stimmung von Pferd und Mensch , körperliche , aber vor allem mentale Fähigkeiten des Pferdes ebenso berücksichtigen wie unsere momentanen Grenzen, das Akzeptieren von heutigen Gegebenheiten und entsprechende Anpassen der gemeinsamen Zeit mit unseren Pferden , das Hinnehmen von Rahmenbedingungen, die wir nicht beeinflussen können und vielleicht auch nicht müssen, das was der Reitmeister Oscar Maria Stensbeck als „ heitere Gelassenheit“ im Umgang mit dem Pferd  bezeichnet, ein wenig mehr Loslassen von Zwang, Druck und Anspruch – das schafft Raum für Entwicklung. Was die Alten Meister wußten: Über Bewegung kann man Pferden sowieso als Mensch nichts Neues beibringen. Klar-wollen wir es reiten, dann müssen wir ihm Vorschläge unterbreiten, innerhalb dieser natürlichen Bewegung eine Form zu finden , die uns auch tragen kann. Das aber fängt im Kopf unseres Partners an: das Pferd muss unsere Vorschläge, in der Reitersprache“ Hilfen “ genannt , auch durchlassen wollen. Wir müssen die Pferde für uns gewinnen, ihre Zuneigung verdienen. Wir müssen lernen, sinnvolle Vorschläge zu machen und zwar sinnvoll für das Pferd.

 


Die Hohe Schule liegt den Pferden in der Natur, nicht sie müssen die Bewegungen ausführen lernen, wir müssen lernen, sie dabei nicht zu behindern oder zu verwirren.

Zuneigung vom Pferd muss man sich verdienen. Schon Grisone, der 1550 das erste Buch zur Reitkunst in der Renaissance schrieb erklärt an über 60 Stellen, wie man das Pferd loben soll, so dass es den Menschen mögen lernt. Von Strafen spricht er nur an 15 Stellen


Für uns alle ist unsere Zeit begrenzt und deshalb das wertvollste Gut. Wie viel Zeit wir haben, darauf haben wir keinen Einfluss, wie wir diese Zeit gestalten, das liegt in unserer Hand. Auch wie wir unseren Pferden begegnen wollen ist eine freie Entscheidung. Wollen wir Druck, den wir empfinden durch das, was wir tragen oder ertragen,  weitergeben?

 

 

 


Zeit ist für uns alle kostbar- denn sie ist begrenzt.


Was MUSS das Pferd denn, wenn wir Amateure sind ? Amateur, das bedeutet jemand zu sein, der aus Liebe handelt, zu einer Sache , einer Person, einer Passion. Und sollte es nicht unser aller Ziel sein, ein Leben lang Amateur zu bleiben für unsere Pferde? Schließlich haben uns unsere Pferde nicht ausgesucht , sondern wir haben sie gezwungen, ihr Leben mit uns zu teilen. Kein Pferd möchte ein Punkt auf der „ To-Do-Liste“ sein, möchte sich fühlen wir Tante Erna: unerwünscht und eine Pflicht. Das Mindeste, das wir für unsere Pferde tun können, ist sie zu respektieren und zu mögen, vielleicht auch zu lieben und ihnen das durch unsere Taten zeigen, denn :

 

Es gibt nichts Gutes, außer man tut es!