Kreuz und Quer

Kreuz und Quer


Haben Sie heute schon ihre Arme verschränkt? Haben sie schon einmal darüber nachgedacht, warum diese  Geste so heißt, obwohl weit und breit keine Schranke und kein Bahnübergang zu sehen ist?


Das Verschränken der Arme: ein Begriff, der  aus der Reitkunst in unseren Sprachschatz übernommen wurde.


Tatsächlich stammt dieser Begriff aus der Pferdeausbildung und ist so spätestens seit der Renaissance ein fester Bregriff in unserer Sprache.

Nicht nur der moderne Reiter, auch Reiter vergangener Zeiten hatte ein Problem, wenn er sein Pferd reiten wollte: recht schnell stellte er nämlich fest, dass bestimmte Dinge zu einer Seite einfacher möglich waren als zu der anderen, weil das Pferde, jedes Pferd, eine natürliche Schiefe mitbringt, die erst im Laufe der Zeit mehr und mehr abtrainiert werden kann. Dazu kommt die Händigkeit, die jedes Pferd, ebenso wie wir Menschen hat: die bevorzugte Ausführung von bestimmten Tätigkeiten mit einer Hand oder einem Bein.

 


Doch wie kann man dem Pferd erklären, dass es auch mit dem anderen Bein zu Geschicklichkeit kommen kann, dass das bewußte, fähige Einsetzen des ganzen Körpers zu bester , mühelosester Balance führt und nicht nur Körperintelligenz, sondern vor allem Tragfähigkeit schafft?

Hier muss besonders die Arbeit mit den Seitengängen erwähnt werden, die keineswegs dem Pferd helfen sollen, seitwärts laufen zu lernen- ein Unding für die funktionelle Anatomie des Pferdes- , sondern das Pferd soll lernen, beide Körperhälften gleich wahrnehmen und einsetzen zu können, um so in seiner natürlichen Laufrichtung in Balance zu kommen.

 


Dem Krebs fällt es leicht, seitwärts zu gehen, gibt seine funktionelle Anatomie dieses doch her. Biomotorik und Biomechanik stimmen mit dieser überein, wenn der Krebs sich so bewegt, wie er es nunmal tut. Beim Pferd sind Gelenke völlig anders ausgerichtet, alle Strukturen sind nach vorne hin orientiert, es muss also vorwärts gehen. Jedes Abweichen davon ist eine Herausforderung.


Seitengänge sollen dem Pferd also bei der Balancefindung helfen und es nicht stören, wenn wir es in seiner ganze Kraft schulen wollen. Wir müssen also darauf achten , dass unser Ergebnis dem entspricht, was die Natur des Pferdes ist. Keiner fasst es so treffend zusammen wie Gustav Steinbrecht: " Und darum will ich jedem Reiter zurufen: " Reite Dein Pferd vorwärts und richte es gerade!" Unter diesem Vorwärtsreiten verstehe ich nicht das Vorwärtstreiben des Pferdes in möglichst eiligen und gestreckten Gangarten, sondern vielmehr die Sorge des Reiters, bei allen Übungen die Schiebkraft der Hinterfüße in

Thätigkeit zu erhalten, dergestalt, dass nicht nur bei den Lektionen auf der Stelle , sondern sogar bei Rückwärtsbewegungen das Vorwärts, d.h. das Bestreben die Last vorwärts zu bewegen, in Wirksamkeit bleibt." ( Das Gymnasium des Pferdes , Berlin 1885)

Für Steinbrecht ist also ganz klar: nur Vorwärts ist gesund, fällt ein Bein aus diesem Bestreben aus, so muss es seitwärts zum Vorwärts korrigiert werden? Paradox? Mitnichten!


Was ist zu viel? Was zu wenig? Ein Blick auf die Gelenkstätigkeit des Individuums gibt Aufschluss. Hier: das rechte Hinterbein bricht über den Fesselkopf ab, das rechte Vorderbein muss stützen: zu viel Seitwärts, kein Vorwärts.

Pferdeausbildung hat heute aud ethischer Sicht keinen anderen Zweck, als dass wir dem Pferd helfen so lange wie möglich seinen Körper so effektiv wie möglich als Pferd nutzen zu können.



Seit der Antike nutzte man bestimmte Hufschlagfiguren und Linienführungen, um das Pferd zu gymnastizieren ( Wikipedia: "Gymnasium/  Gymnasion: Ein Gymnasion war im antiken Griechenland ein Ort der körperlichen, charakterlichen und intellektuellen Erziehung für die Jugend.") Besonders die Pede, das Zirkelvergrößern und anschließende Zirkelverkleinern , lesen wir beim antiken griechischen Reitkünstler Xenophon, sei die Figur, die man gar nicht oft genug auf jeder Hand, also jeder Körperseite des Pferdes arbeiten könne, betont er. Hierbei muss beim Vergößern immer das innere Beinpaar über das äußere übertreten, während beim Verkleinern das äußere Beinpaar über das innere kreuzt.



Als einer der ersten Autoren ind er Renaissance erklärt von Löhneysen in seiner " Della Cavalleria ( Reitlingen, 1609) das " Schließen": das Geraderichten mittels seitwärts treibender Hilfen, um das Pferd auf einer Linie in Balance zu bringen.



Der Seitengang bringt das Pferd in Balance er vereint den Körper in ein Ganzes. Das Pferd wirkt geschlossen.


Hier müssen wir in zwei Dingen unterscheiden, bevor wir sie dann später wieder zu einem Ganzen vereinen.

 

Zum Einen ist das das Hilfenverständnis, ein Kulitvierungs- und Verstehensprozess auf Seiten des Pferdes und natürlich auch des Menschen. Hier geht es allein um Kommunikation, dieses ist immer der erste Schritt, wenn wir dem Pferd gegenüber eine Frage oder Bewegungsaufgabe formulieren wollen. Es kann sein, dass das Ergebnis hier zu stark, zu viel, zu übertan ausfällt, was wir für den Anfang in Kauf nehmen müssen, immer im Bewußtsein, dass jede Reaktion in die richtige Richtung eine richtige Reaktion ist. Perfektion suchen wir dann hinterher.

Zweitens dann geht es um die Sinnhaftigkeit in Bezug auf die Geundheit und den langfristigen Nutzen oder Schaden der erzeugten Bewegung. Hier spielen oben angesprochene biomechanische Prozesse ,aber auch die Psyche des Pferdes, eine große Rolle.


Die Arbeit mit dem Doppelpilaren hilft bei Pluvinel dem Pferd, sich wahrzunehmen: wo ist links? Wo rechts? Wo vorne, wo hinten? Wo ist welches Bein? Heute nutzen wir diese Technik nicht mehr, weil sie ein hohes Gefahrenpotential birgt, aber ihr Inhalt muss von größtem Interesse für unsere heutige Arbeit sein.



Das Pferd hat verschiedene Möglichkeiten, Haltung einzunehmen, die, die wir uns wünschen würden, weil sie nicht nur die gesündeste, sondern auch die für das Pferd nachhaltigste ist, ist die Selbsthaltung. Doch wie soll ein Körper Haltung haben, der nicht in Balance ist? Hier kompensieren Strukturen, die nicht dauerhaft dazu gedacht sind, zu halten. Das Zwerchfell muss hier besonders im Fokus unserer Betrachtungen liegen, weil vor allem in seiner gesunden Funktion eine immens wichtige Information über die Haltung des Pferdes liegt, aber auch die Gesunderhaltung des Pferdes direkt, vor allem aber langfristig abhängt.


" Arme verschränken " beim Pferd? Auch heute noch gehören Seitengänge zur Ausbildung des gesunden Pferdes. Nach und nach werden die richtigen Museklgruppen und faszialen Ketten so gestärkt, dass der Halteapparat des Pferde kraftvoll genug ist, um das Zwerchfell zu entlasten.


Wichtig war und ist hierbei: mittels Hilfen müssen immer Kraftübertragungslinien hergestellt werden, die  " über Zwerch" laufen, wie wir es in der Renaissance lesen, die also diagonal durch den Rumpf laufen und den Brustjkorb aus der Hinterhand platzieren. Das Prinzip " vom inneren Schenkel in den äußeren Zügel" findet sich da heute noch wieder. " Come un croce de St. Andrea",  wie bei einem St. Andreas-Kreuz, verlangt Federico Grisone in seiner 1550 erschienen " Gli ordini die Cavalcare" sollen Hilfen des Sitzes gegeben werden, um immer wieder die Diagonale im Pferdekörper herzustellen. Neben den Seitengängen kann auch die Arbeit mit dem Schulschritt hier ein sehr gutes Werkzeug sein. Deshalb ist das damals wie heute so wichtig, weil sich in der Durchlässigkeit , im losgelassenen Zulassen der vom Motor Hinterhand produzierten Kraft über den Rücken in die Vorhand des Pferdes der Rückengänger charakterisiert wird. Ist dem Pferd dieses diagonale Durchschwingen in jeder Gangart nicht möglich, sprechen wir von einem Schenkelgänger.


Galiberto erklärt das " Schränken"



" Das Pferd muss immer vorwärts gehen und sei es auch nur um Strohhalmsbreite", erklärt William Cavendish, Herzog von Newcaslte, ein Zeitgenosse Galibertos um 1650



Atmung und Schwung, Zwerchfell und Haltung, Rückengänger und Balance- alles das gehört also zusammen. Kein Wunder, dass schon Pluvinel in seiner " Maneige Royal" 1624 erklärt, eine Lektion könne nur so lange gearbeitet werden, wir das Pferd Atmung habe. Ist das Pferd nocht nicht in Lage, Ausdauer in einer Übung zu finden, wird sich das auch in der Atmung widerspeigeln, die eben auch ine Indikator für den mentalen Zustand des Pferdes ist. Durch das Trainieren mit den Seitengängen kommt mehr und mehr " Ordnung" in den PFerdekörper, der ihm erlaubt, mit entsprechend gestärkten Muskeln und geschmeidigen Gelenken auch Übungen mit höherem Anspruch leisten zu wollen. Pluvinel legt größten Wert auf die Balancesuche, er nutzt Seitengägne ausschließlich zur Geraderichtung: " 


 

" VVarum begeret ihr, das euwere pferdt auff die seitte hin undt her, durch anrührung, einer und der anderen versen gehen sollen?"

 

 

 

Darumb ( ihre Maijest.), das das pferdt, welches nit beseits gehen, nit als durch gefahr , gute volten mache kann: nachdem man vernimbt, wan es in volten gehet, das es sich zu weit auß derselben begibt, soll man es mit dem außwedigeren sporn der volten hineintrucken: undt wan es der sporn zuweit in die volten hineintruckete, soll es der andere wieder herauß treiben : Gleicher Gestalt soll man auch thun, vvenn man das pferdt gerath außreiitten, undt es auff ein oder ander seitte lauffen machen vvill, soll es der ein oder andere sporn gerath außzugehen, verursachen." ( L ´instruction du roy de monter au cheval, A. de Pluvinel)

 

Pluvinel "Führt den Kampf mit dem Auge": wo fällt das Pferd aus einer Linie aus? Bei ihm wird das Beweglichmachen des Körpes auf der Kreisbahn erarbeitet.



Die Körperwahrnehmung des Pferdes spielt hier eine große Rolle. Das Allerschwierigste ist sicherlich das Verständnis der Einwirkung der Hand und der damit einhergehenden verhaltenden Hilfen, die niemals rückwärtswirkend sein dürfen, um das Pferd nicht in seinem Bestreben, die Last stets vorwärts bewegen zu wollen stört. Ohne Handeinwirkung und das Verständnis der Parade jedoch würde jeder treibende Impuls verpuffen. Was also tun? Die Alten Meister wußte, wie so oft, Rat: man nimmt Hilfsmittel hinzu, die das Pferd optisch begrenzen, man " schränkt es ein".


Was der Doppelpilar bei Pluvinel ist die Arbeit auf dem Vorteil bei Löhneysen: das PFerd wird beschränkt, es wird in einer seitwärts begrenzenden Schranke gearbeitet...

...bevor dann eine Schranke auf dem freien Feld  - der Reitbahn Löhneysens- errichtet wird, in der das Pferd an weitere Hilfen gwöhnt wird.


Pluvinel nutzt nach dr Arbeit mit dem stehenden Pferd im Doppelpilaren erst eine Mauer...


...bevor er das Pferd auch im freien Raum seitwärts treten, schränken, läßt.


Auch von Eisenberg nutzt diese Technik rund 150 Jahre nach Pluvinel


Das " Schränken " bei Eisenberg auf der geraden Linie. Kein Seitengang, aber ein Verstehen von seitwärts treibenden Hilfen, ohne dass die Hand rückwärts wirken muss.


Die Diskussion, über wie viele Hufschläge das Pferd hierbei zu laufen hat ist also eine müßige: je mehr das Pferd aus der Balance gerät, je weniger es hierbei in der Lage ist, mit geraden Gelenken in den Beinen seine volle Kraft, ausgehend vom Motor Hinterhand für sich zu nutzen, desto weniger handelt es sich um einen Seitengang. Hier wird nicht Balance gesucht, sondern über das Verständnis einer Hilfe kommuniziert. Im Interesse der Pflege der guten gegenseitigen Beziehung sollte hierbei immer darauf geachtet werden, dass das Pferd sich nicht aufregt, weil mangelnde mentale Losgelasenheit auch immer ein Initiieren des Fluchtreflexes mit gleichzeitigem Versteifen der Hinterhandgelenke zur Folge haben wird. Je weniger man ein Pferd seitwärts treiben MUSS, um ihm das Seitwärts in seinem Körper zu erklären, desto mehr DARF man sich dem Endziel Geraderichtung schon nähern. Ändert sich der Versammlungsgrad des Pferdes, dann ändert sich auch dieses Verhältnis wieder. Hier gilt es allerdings ganz realistisch das Pferd in seinen momentanen Möglichkeiten wahrzunehmen, um es nicht zu überfordern. Nicht, dass es sich vor uns schützen muss!


In der Arbeit um den Einzelpilaren herum kann man die Linie, auf der das Pferd seitwärts tritt nur so groß wählen, dass das Pferd noch vorwärts tritt. Will heißen: je höher der Grad der Versammlung, desto mehr kann man seitwärts arbeiten, ohne das das Vorwärts verloren geht.



Sollte das nämlich der Fall sein, dann wird das Pferd nicht mehr in der Lage sein, den Rumpf im echten Seitengang vo der Hinterhand ausgehend in eien Richtung zu heben und sich  zu biegen, das Zwerchfell zu entlasten und die Bewegung durch seinen inneren Kern- in der Sportwissenschaft auch Core genannt- durchzulassen. Vom Ganzkörperorganisationsmuster Seitengang kämen wir zu einem mechanischen Setzen der Gliedmassen, von harmonischer, fließender, schwingender Bewegung des Pferdes kämen wir zum Taktverlust, einem sichtbaren Zeichen, dass Schwung nicht stattfindet. Wir müssen uns hüten, dass das Pferd nicht in Abwehrhaltung uns gegenüber kommt und uns nur eingeschränkt mit ihm arbeiten läßt- Gymnastizierung fängt im Willen des Pferdes an, sich formen zu lassen und endet auch genau dort. Seine Haltung uns gegenüber muss eine offene sein, nur so erreichen wir dann auch seinen Körper - ohne Beschränkung...