Gutes Training ist elementar wichtig für ein Pferd: es hält den Körper geschmeidig und beweglich, kräftigt ihn, macht Bewegungsapparat und Herz-Kreislauf leistungsfähig und belastbar, kurbelt den
Stoffwechsel an und hält ringsherum das Pferd gesund. Darüber hinaus sorgen gezielte Bewegungsaufgaben für einen Zugewinn an Körperintelligenz und Bewegungskompetenz.
Und auch mental spricht gutes Training das Pferd an: es lernt neue Dinge über sich selbst,
erweitert seine Kompetenzen, indem es herausknobelt, wie eine Aufgabe gelöst werden
kann, gewinnt Bestätigung und Zuneigung aus der Beziehung zu seinem Menschen , kurz, gutes Training erweitert seinen Horizont, schult den Geist, fördert Intelligenz und emotionale Entwicklung.
Ein gutes Training zeichnet sich dadurch aus, dass es linear aufbauend, einem roten Faden folgend, aller o.g. Aspekte körperlicher und mentaler Bedürfnisse folgend, dem Alter und
Entwicklungsstand, dem Ausbildungsstand und der körperlichen und mentalen Fitness entsprechend systematisch folgend und zielgerichtet ist.
Gutes Training ist ein absoluter Gewinn für das Pferd, ein Enrichment für sein Leben mit Benefit für Körper und Geist.
So zumindest die Theorie. Leider sieht die Realität oft ganz anders aus.
Denn die Voraussetzungen, damit ein Pferd überhaupt Benefit von einem solchen Training haben kann, sind nur allzu oft nicht wirklich vorhanden. Und dann fangen die Probleme so richtig an…
Es gibt – mehr als man allenthalben glauben würde- tatsächlich jede Menge Pferde, die ganz andere Bedürfnisse haben, als trainiert zu werden ( was ja grundsätzlich eine Art passive
Duldunggsfähigkeit von Seiten des Pferdes impliziert). Diese Pferde haben absolut keinen Gewinn von sportlicher Betätigung welcher Art auch immer , ganz im Gegenteil: jedes Quentchen, was hier an
falschen Anforderungen gestellt wird, verschlimmert die Situation bloß und fügt dem Pferd Schaden zu.
-Das 26jährige ehemalige Reitschulpony kann keine Übungen der Hohen Schule mehr absolvieren, sondern freut sich vielleicht über gemeinsame Spaziergänge.
-Das stark übergewichtige Pferd darf nicht in höheren Gangarten bewegt werden, um Gelenke, Faszien und Organe vor zu starken Erschütterungen zu bewahren und ein zu starkes Zeihen und Reißen am
Gewebe zu verhindern, profitiert aber vielleicht von Arbeit an der Körperwahrnehmung .
-Die ehemalige M in der Vielseitigkeit platzierte Stute mit fortgeschrittener Arthrose, die nach ihrer Sportlaufbahn noch mehrere Fohlen bekommen mußte, kann und sollte keine komplexen Übungen
wie Seitengänge mehr absolvieren, freut sich aber vielleicht über Bodenarbeit mit verschiedenen Führpositionen, bei der sie dem Menschen etwas Kommunikation beibringen darf .
-Das Pferd mit extremer Schiefe kann keine Reitkunst ausführen, ist aber bestimmt begeistert von passiver Bewegung oder Bewegungstherapie.
- Das Pferd mit den schmerzenden Hufen mag vielleicht zur Zeit sein Bewegungsbedürfnis lieber in weichem Sand- oder Waldboden auf dem Paddock stillen und freut sich neben ordentlicher Bearbeitung
und Hufschutz über eine Massage und ein gründliches Putzen
- Das Pferd mit der atrophierten Muskulatur und den verklebten Faszien kann weder sich, noch zusätzliches Gewicht tragen. Oft ist so ein Zustand nur ein Symptom, dazu kommen weitere Probleme, wie
Taktunreinheiten, mangelnde Anlehnung, keine reelle Biegungsfähigkeit, Probleme mit Stoffwechsel und Verdauungstrakt , etc. Hier muss Ursachenforschung betrieben werden und ein einfaches
Auffüttern macht das Pferd nicht gesund, sondern nur dick. Solch ein Pferd baut durch Training keine sinnvolle Muskulatur auf, freut sich aber bestimmt über die fähige Hand des Therapeuten und
eine möglichst stressfreie Umgebung.
- Das junge, noch nicht ausgewachsene Pferd kann weder mental , noch körperlich belastet werden, kann Balanceverschiebungen wie Seitengänge oder Versammlung nur kompensatorisch und somit
verschleißend ausführen , freut sich aber ganz sicher über Aufgaben, die seine natürliche Neugierde ansprechen und es dazu bringen, den Menschen verstehen zu lernen: Hilfenschule ist möglich,
Bewegungsschule darf noch ein wenig hintenan gestellt werden
- Das atemwegserkrankte Pferd, das regelmäßig bewegt werden sollte, kann nicht täglich im Galopp auf dem kleinen Platz gescheucht werden. Es ist mehr als nur seine Lunge: kann der restliche
Körper sich nicht gesund bewegen, ist das Zwerchfell dazu genötigt, eine zu starke Haltefunktion einzunehmen, dann verschlimmbessert sich der Zustand langfristig, richtig durchschnaufen ist kaum
mehr möglich.
- Das Pferd mit Schmerzen, zB nach einer Hufrehe ,in der Rekonvaleszenz, mit chronischen Erkrankungen ( Kissing Spines, chron. Hufrehe, Arthrose, Magengeschwür, etc) freut sich über Gemeinsamzeit
mit dem Menschen, verträgt aber keine Anforderungen . Was immer geht: einfach nur in Gesellschaft mit dem Pferd sein, sich dazusetzen, vielleicht eine Geschichte erzählen, den Körper berühren,
ein Küsschen auf die Nase, ein Buch vorlesen- es darf ja ruhig zum Thema „gutes Training“ sein, denn hoffentlich kommen ja wieder bessere Tage…
Die
Liste der möglichen Ausnahmen der Pferde, für die Training sinnvoll ist, ist fast unendlich lang und wo man schon beim gesunden Pferd außerordentlich bedacht sein muss in der Wahl und der Abfolge
der Aufgaben , muss bei einem Pferd mit Problemen nicht nur doppelt, sondern mehrfach überlegt werden, was genau wann Sinn macht. Hier gilt klar: wenig Richtiges ist grundsätzlich besser als viel
Falsches. Unsere Wahl bestimmt über Wohl oder Wehe für unsere Pferde. Diese im richtigen Maß und zur richtigen Zeit zu treffen ist eine lebenslange schwierige Aufgabe und eine große
Verantwortung.