Der eingebildete Kranke? Oder: ein Glück, mein Pferd ist nur krank!
Wenn das Pferd krank ist, leidet der Mensch. Sollte also unser Bestreben nicht darauf ausgerichtet sein, ein gesundes Pferd zu haben?
Gott sei Dank, es ist krank!
Haben Sie ein krankes Pferd? Was für ein Glück! ( Achtung: Ironie!)
Bitte? Sollte nicht jeder Pferdebesitzer froh sein, wenn das eigene Pferd gesund im Stall steht und sein Leben genießt? Und warum gibt es in jedem beliebigen Stall trotzdem so viele Pferden , die scheinbar eine Neigung zu Erkrankungen haben?
Sieht nicht gesund aus, hat aber mit krank nichts zu tun: ein junges Pferd voller Übermut
Kein krankes, sondern ein altes Pferd: dem Gesicht sieht man ein gelebtes Leben an. Und das ist auch gut so!
Der Wunsch, dem eigenen Pferd Gutes tun zu wollen ist sicherlich ( hoffentlich) bei jedem Pferdebesitzer vorherrschend. Das kann jedoch ganz unterschiedlich aussehen, scheinbar gibt es da verschiedene „ Typen“ von Pferdebesitzern- in der Regel weiblichen Geschlechts, wobei auch druchaus männlich Pferdebesitzer solch ein verhalten zeigen können- die man schon fast in Kategorien einteilen kann:
1. Die „Futtermeisterin“: Gegen jedes Leid ist ein Kraut gewachsen! Und deshalb hat das Pferd einen eigenen Schrank voller Zusatzfutter, Kräutermischungen, Spezialfutter- eben alles, was der Markt hergibt. Liebe geht schließlich durch den Magen!
2. Die „ Traditionalistin“ : alle Pferde dieses Besitzers haben innerhalb kürzester Zeit die selbe „Krankheit“ mit den selben Symptomen? Ein Schelm, der Böses dabei denkt…
3. Die „ Gelbe-Schein-Ausstellerin“: zu krank zum arbeiten? Aber immer doch! Besser, ein krankes Pferd haben als eins, mit dessen Ausbildung man sich auseinandersetzen müßte. Denn dann kämen womöglich eigene Unzulänglichkeiten ans Licht und statt helfen stünde Hilflosigkeit plötzlich im Raum…
4. Die „Heilssucherin“: der richtige Arzt oder Therapeut mit der passenden Diagnose ist noch nicht gefunden? Aber das Pferd MUSS doch krank sein! Da hilft nur Eins: so lange suchen, bis man in der eigenen Meinung bestätigt wird…
5. Die „Heimwerkerin“: gegen jede Krankheit steht ein Medikament im Schrank, denn die eigene Diagnose stimmt sowieso viel genauer , als jeder Arzt, Heilpraktiker ,etc. jemals eine herausfinden könnte. Im Zweifelsfall unterstützen „Fachleute“ per Telefon, Fotopendeln, Fernanalyse oder Horoskop, was man selber schon herausgefunden hat. Das passende Mittelchen war ja eh schon zur Hand…
Natürlich gibt es durchaus auch Mischformen!
Kräuter können helfen, ein gesundes Leben zu unterstützen, ersetzen aber nichts Grundsätzliches, das im Leben des Pferdes nicht in Ordnung ist
Eine optimale Aufzucht in Pferdegesellschaft, Sozialkontakt, die tägliche, besser noch uneingeschränkte Möglichkeit zur freien Bewegung: das sind ebenso Grundbedürfnisse des Pferdes wie eine medizinsiche Versorgung und Futteroptimierung. Das kann kein Zusatzfutter, Pulver oder Medikament ersetzen und auch keine noch so gute Arbeit kann kompensieren, was hier nicht in Ordnung ist.
Haben Sie sich selber ein bisschen erkannt? Natürlich muss so etwas mit einem Augenzwinkern an sich selber wahrgenommen werden und es ist ja nur menschlich, dass man dem eigenen Pferd etwas Gutes tun will. Meistens zeigt die Wahrnehmung „ gesundheitlicher Probleme“ die Wahrnehmung von Schwierigkeiten anderer Art. Was ist es, was ein Zusammenkommen von Mensch und Pferd verhindert? Wie kann Nähe entstehen? Oft greift dann der emotional eingebundene Pferdebesitzer zur „ Gesundheitsfürsorge“, weil das zumindest etwas ist, mit dem man ganz offensichtlich der Sorge ums Pferd Ausdruck verleihen kann. Und das Pferd tut ja im Gegenzug auch den Gefallen, Symptome zu zeigen. Nur: war da zuerst die Auffälligkeit oder zuerst das „beziehungsgestaltende Kümmern“? Huhn oder Ei? Ei oder Huhn?
"Mehr als jede andere Kunst ist die hippische mit den Weisheiten des Lebens verbunden. Viele ihrer Grundsätze können jederzeit als Richtlinien für das Verhalten im Leben dienen. Das Pferd lehrt den Menschen Selbstbeherrschung, Konsequenz und Einfühlung in Denken und Empfinden eine anderen Lebewesens . Es fördert also Eigenschaften, die für unseren Leebnsweg außerordentlich wichtig sind " A. Podhajsky
Pferde sind sehr , sehr feinfühlige Wesen, deren Geist, wie bei uns Menschen durchaus den Körper beeinflussen kann. Haben sie das Gefühl, brav zu sein, indem sie „krank“ sind, weil es das ist, was den Menschen zufrieden macht, dann werden sie sich dauerhaft zuerst krank stellen und dann krank fühlen- man hat durch das eigene Bedürfnis, das Pferd als Patienten, statt als Partner zu sehen, plötzlich Realitäten geschaffen. Das Fatale: ein enormer Leidensdruck entsteht auf beiden Seiten, der Mensch bringt große Opfer, um dem Pferd zu helfen, das Pferd nimmt große Opfer auf sich und büßt schlimmstenfalls im Laufe der Zeit wirklich seine Gesundheit ein , um der Rolle gerecht zu werden. Von „ Stolz und schön“, wie Xenophon das Pferd schon vor 2500 Jahren gesehen und gearbeitet haben wollte, wird „krank und schwach“. Realität sieht eben für jeden anders aus und real ist, was das Gehirn als real einstuft. Denn: Empathie ist Pferden von Natur aus in einem Maße gegeben, dass es mitunter schon unheimlich scheinen kann, wie sehr sie Gefühle und Gedanken von ihren Menschen aufnehmen. Was wir fühlen, ist für das Pferd Realität in unserer gemeinsamen Beziehung.
Je jünger das Pferd, desto empfänglicher ist es für unsere Version der Realität. Hier ist unsere Disziplin gefragt: die Gedanken sind zwar frei, man
sollte ihnen aber zum Wohle des Pferdes eine konstruktive Richtung geben
Habe ich ein "krankes" Pferd, dann wird das Pferd vom Partner zum Patienten ( lateinisch patiens ‚geduldig', ‚aushaltend', ‚
Wenn das Pferd plötzlich gesund würde- was würde das für mich bedeuten? Welche Rolle hätte ich dann? Und wie würde sich das anfühlen, einen Partner statt eines Patienten zu haben, jemanden, der mir - mindestens- auf Augenhöhe Feedback über mein Denken und Tun gibt?
Pferd oben, Mensch unten- das hat nicht nur etwas mit Respekt zu tun, sondern vor allem gegenseitigen Vertrauen. Dem Vertrauen in den Menchen, das Pferd- auch mental- nicht mehr aus der Balance zu bringen und dem Vertrauen in das Pferd, seine Kraft für die gemeinsame Sache und nicht gegen den Menschen einzusetzen. Gerade Arbeit am Boden ist Arbeit auf Augenhöhe- oder eben auch nicht.
Keine Frage: es gibt viel zu viele Pferde, die tatsächlich krank sind und diese brauchen selbstredend Hilfe. Aber es gibt eben auch Pferde, die sind schlecht erzogen, schlecht gearbeitet oder schlicht vom Menschen verdorben worden und nicht krank. Hier muss die Ursache abgestellt werden und nicht die Symptome behandelt oder unterdrückt. Die ehrliche die Auseinandersetzung mit dem , was diesem Pferd fehlt, ist unabdingbar für eine Entwicklung in eine positive Richtung. Dazu fehlt zuerst der Willen zur Wahrnehmung und dann der Willen, eine Lösung zu suchen.
" Die Kenntniss der Natur eines Pferdes ist eines der ersten Hauptstücke der Reitkunst, worauf jeder Reiter vorzüglich studieren muss", verlangt F. R. de la Gueriniere. Besonders heute, da wir Pferde nur noch zu unserem Vergnügen halten, kann aus Zwecklosigkeit schnell Sinnlosigkeit werden. Für die Pferde ist das fatal!
Was macht es mit mir, wenn ich mein Pferd in voller Kraft erlebe? Wie fühlt sich das an?
Das Einzige was dabei hilft: sich bilden über die Bedürfnisse DIESES Pferdes bezüglich seiner Vorlieben , seine Anlagen, seiner mentalen und körperlichen Eigenarten, dem, was es von uns, aber auch ansonsten im Alltag braucht. Dabei gilt: so, wie es kein Allheilmittel in Sachen Gesundheit gibt, gibt es sie auch nicht in Sachen Haltung, Training, Futter, Sozialkontakt.
Wo steht das Pferd in der Herde? Mag es lieber kleine, gleichgeschlechtliche Gruppen? Hat es vielleicht sogar nur einen festen Lebenspartner? Oder
fühlt es sich in der großen Gruppe am wohlsten? Das ist von Pferd zu Pferd ganz unterschiedlich. Was für das eine Pferd optimal ist, kann für das andere Pferd grundverkehrt sein.
Dies ist kein Apell an eine unterlassene Hilfeleistung gegenüber Individuen, die unsere Hilfe brauchen. Vielmehr ist es ein Aufruf, noch genauer hinzusehen, worin diese Hilfe bestehen muss und nicht den vermeintlich bequemen , weil vertrauten Weg über das Anmischen von Tinkturen, Kräutermischungen und Globuli zu nehmen. Auch zum Beispiel angepasste Arbeit mit dem Pferd ist eine Form von gelebtem Tierschutz und man kann aktiv etwas zur Gesunderhaltung des Pferdes beitragen, wenn es gesund in Bewegung gebracht wird.
Ein Pferd, dessen Körper durch falsches Arbeiten Schaden genommen hat braucht Hilfe- ganz klar. Diese sollte auch durch eine entsprechende Arbeit geleistet werden, das Pferd aufs " Krankenteil" zu schieben ist keine Lösung für die Probleme : vorher
...und nach einem Jahr angepasster Arbeit sieht das selbe Pferd nicht nur anders aus, auch der Geist hat sich erholt!
Doch Vorsicht vor zu viel Enthusiasmus: ein beständiger Gedanke an Optimierung des Pferdes im Sinne von „ Jetzt kann es das schon, jetzt soll es als Nächstes auch noch das können“ schafft ebenso Druck, was wieder zu negativen Emotionen auf beiden Seiten führen kann: durch die Unzufriedenheit des Menschen fühlt das Pferd sich vielleicht unzulänglich. Frieden , das Annehmen und Respektieren von gegenseitigen Grenzen, ist ein wesentlicher Bestandteil von Wohlbefinden und Entspannung innerhalb einer Beziehung. Die Pferde machen uns vor, wie das geht, sie dienen uns da und an vielen anderen Stellen als Vorbild in Sachen Menschlichkeit.
Den Anderen so annehmen, wie er ist: das können wir von Pferden lernen
Und: Hat das Pferd tatsächlich gesundheitliche Probleme gehören diese in professionelle Hände und müssen versorgt werden. Alles andere ist ein Verstoß gegen das Tierschutzgesetz…