Manege frei?!

Manege frei?!

„Was für ein Zirkus“ könnte man manchmal denken, wenn man heute Pferdemessen und Shows besucht. Pferde sitzen, liegen, decken sich mit Decken zu- Zirkuslektionen und Trick-Training sind heute modern. Sie sollen den Geist des Pferdes anregen, ihm „ Denkfutter“ geben und dabei das Pferd quasi nebenbei gymnastizieren. Doch ist jeder gelernte Trick wirklich für das Pferd sinnvoll? Oder ist Manches sogar eher kontraproduktiv zur Ausbildung des gesunden Reitpferdes?

 


Die " Maneige Royal" von A. de Pluvinel erschient drei Jahre nach dem Tod des Reitkünstlers . In ihr wird sein Lebenswerk überliefert. Maneige nannte man im 16. Jahrhundert den Ort, an dem Pferde ausgebildet wurden, die Reitbahn.


Natürlich hat man schon in früheren Zeiten versucht, Ausbildung zu variieren , um das Pferd möglichst umfassend auf verschiedenen Gegebenheiten vorzubereiten. Dabei hat man das Pferd beobachtet, um zu sehen, welche Bewegungen ihm möglich sind und überlegt, wie man diese Bewegungsmöglichkeiten umsetzen und nutzen kann, wenn man das Pferd ausbilden möchte. Manche Dinge sind auch aus der „ Not“ oder einer Notwendigkeit  entstanden.

 

So lesen wir zum Beispiel vor gut 2400 Jahren bei Xenophon davon, dass er das Pferd zum Aufsteigen eine bestimmte Position einnehmen ließ, wie wir sie heute in der amerikanischen Morgan Horse oder Saddlebred-Szene finden, die sogenannte „Park-Position“. Xenophon erklärt, dies mache dem Reiter das Aufsteigen einfacher, für ihn besonders wichtig, weil zu seiner Zeit noch keine Steigbügel genutzt wurden und der Reiter mit Hilfe einer kleine Querstrebe an seiner Lanze, die er als Aufsteighilfe nutzen konnte, auf den Pferderücken kletterte. Ein weiterer Vorteil der Park-Position ist, dass das Pferd einen kurzen Moment braucht, um die Hinterbeine wieder unter den Körper zu holen und so nicht sofort lospreschen kann, sobald es den Reiter auf dem Rücken spürt. Dieselbe Idee sehen wir bei den Besitzern von Morgan Horses im 19. Und beginnendem 20.  Jahrhundert, die ihre Morgans dann auch vor dem Wagen kurz „parkten“ , um zum Beispiel Waren auszuliefern oder aufzuladen . Unter dem Sattel machte diese Position es möglich, sich zuerst im Sattel zu sortieren, die Zügel in Ruhe aufzunehmen und Hut und Kleidung zu richten. Heute wird in Amerika diese Stellung ohne Hintersinn auf Shows gezeigt, weil sie aber auf Dauer den Halteapparat schwächt, sollte man sie nicht zu oft oder exzessiv arbeiten. Xenophon ist es  besonders wichtig , dass er ein Pferd schult, das „  sich stolz und schön zeigt, so, wie es sich in den Augen anderer Pferde stolz und schön fühlen würde“. Dazu braucht es seine volle Kraft und wird also nur für den einen kurzen Moment des Aufsteigens in eine geschwächte Position gebracht. Ein Ablegen oder Hinknien kam für ihn nicht in Frage, das Pferd soll groß, erhaben und kraftvoll wirken.

 


Glenmorgan Nyx Sruprise in der "Park-Position": Xenophon stellte ein Pferd so auf, um bequem aufsteigen zu können.


Bei Fiaschi , der eine der ersten Reitakademien der Renaissance in Neapel fast zeitgleich mit dem berühmten Frederico Grisone gründete, finden wir dann erstmals das „Pferdeballett“, das „Maneggiare“ , bei dem Reiten zur reinen Kunstform wird. Er läßt Musik komponieren die sich den Bewegungen der Pferde anpassen soll, erfindet neue Lektionen und läßt so Reitkunst und Musik zu einem Tanz von Mensch und Pferd als einem Gesamtkunstwerk verschmelzen. Bei ihm finden wir kunstvolle , allerdings keine künstlichen Bewegungen. Man könnte sagen: Fiasci ist der Erfinder der Pferde-Show, die reinem Entertainment dient. Kurze Zeit später folgt dann Pignatelli, der wohl berühmteste Schüler Grisones , diesem Gedanken und läßt sich von Fiascis revolutionärer Idee inspirieren. Bis zu diesem Zeitpunkt galt die Erschaffung und der Genuß von Kunst, die nicht zur Verherrlichung Gottes oder seiner Heiligen diente als Sünde, erstmals kommt im Italien der Renaissance der Gedanke auf, sich an weltlicher Schönheit als Mensch zu erfreuen- ein neues Weltbild entsteht und Fiasci hat Teil daran.  Befreundet mit dem großen Michelangelo, dem berühmten florentinischen Architekten, Bildhauer und Maler soll er mit dessen Sinn für Ästhetik seine Reitbahn im damals spanischen Neapel zu einem Hochgenuss von Farbe, architektonischer Form, Reitkunst und Musik  stilisiert haben, das so anziehend in seiner Einzigartigkeit gewesen sein muss, dass aus ganz Europa junge Adlige auf „ Cavallierstour“ an seine Ritterakademie kamen, um dieses neu geschaffene „ Wunder“ zu erleben und von ihm zu lernen, was er über die Kunst der Pferdeausbildung weiß . Pignatelli erkennt, dass das Pferd dann am schönsten, am „ zierlichsten“ scheint, wenn es sich so natürlich wie möglich in Harmonie mit seinem Reiter präsentiert und sich , wie schon Xenophon fordert, „ stolz und schön zeigt, so, wie es sich in den Augen anderer Pferde stolz und schön fühlt“ . Gemäß dem großen Motto der Renaissance „ Natura non artis Opus“ – „ Die Natur macht das Kunstwerk“ , soll bei ihm das Pferd allein in seiner Schönheit als Kunst gelten, ohne dass Künstliches erschaffen wird. Vor allem die Galopparbeit, die Erhebungen und Sprünge der hohen Schule faszinieren ihn mit ihrer Kraft und Anmut.

 


Bei  Fiasci vereint sich Musik mit Reitkunst zu einem Ganzen, dem " Maneggiare" , Pignatelli fügt noch Architektur und Licht hinzu, um ein umwerfendes Gesamterlebnis zu schaffen.



Über Dinge wie das Ablegen oder Hinknien lesen wir dann zuerst in Wort und Bild in der Hippomike von Fayser ( Augsburg, 1575). Sie gilt vielen als eine deutsche Originalübersetzung der „ Gli ordini di Cavalcare“ von Frederico Grisone ( 1551, Venedig), wasjedoch faktisch falsch ist. Fayser, laut eigener Aussage des Italienischen auch gar nicht umfassend mächtig und sich  „ durch den Urwald des Italiänischen“ kämpfend, verstand das eine oder Andere nicht oder nicht richtig so, wie Grisone es gemeint hatte. Vor allem der rücksichtslose Einsatz von Schlägen, Zwangsmassnahmen und Futter- oder Wasserentzug wird bei ihm an vielen Stellen empfohlen ganz anders, als wir es bei Grisone selber finden, der größten Respekt vor dem Lebewesen Pferd hat und ihm  mit seinem Buch eine wahre Hommage schreibt. Fayser zeigt das Ablegen mit Hilfe der Fusslonge und Metallschellen- dem " Fallgeschirr", mit dem das Pferd zu Boden gezwungen wird. Aber: auch bei ihm hat diese Übung keinen Selbstzweck, sondern sie wird erarbeitet, um das Aufsteigen des Reiters einfach zu machen. Er schreibt selbstverständlich davon, dass das Pferd zum Verbeugen , dem Plié oder Kompliment als Aufsteighilfe geschult wird, was zu seiner Zeit üblich war, damit der  "Gentil Homme", der Edelmann, sich bequem in den Sattel setzen konnte und das Pferd mit zierlicher Verbeugung nach Belieben „ eine Reverentia thuen“ lassen kann: Verbeugen als Mittel der Selbstdarstellung und des höflichen Verhaltens mit praktischem Nutzen für den Reiter, der zu seiner eigenen Bequemlichkeit das Pferd in dieser sehr unnatürlichen Position hält.

 


Fayser zwingt das PFerd mittels Fusslonge in das Ablegen. Noch heute wird dieses sehr umstrittene Werkzeug genutzt, das nicht ohne Gefahrenpotential ist.


Gerade das Verbeugen des Pferdes kann bei diesem zu ungesunden Folgen führen: der Brustkorb , der nur an losen Strukturen im Pferdekörper aufgehängt ist, wird nach unten-vorne geschoben, während sich die Dornfortsätze der Brustwirbelsäule annähern. Das kann im schlimmsten Fall zu nachträglichen Problemen wie Kissing Spines führen, die ein Pferd dann sogar unreitbar machen können, weil es permanent durch die Reibung der Wirbel aneinander Schmerzen im Rücken hat. Auch wird der Halteapparat geschwächt, weil das Pferd , statt die untere fasziale Kette zu stärken, diese nachdrücklich aufdehnt, die Gelenke der Hinterhand versteift, um Balance zu finden und die Lende hochdrückt, was sie auf Dauer instabil werden läßt.

 


Kaiserin Sisi von Österreich machte es auch: auch in  ihrer Zeit nutzte man das Verbeugen als Übung auch unter dem Sattel. Gut zu sehen ist die überdehnte Lenden- und Kreuz- Darmbeinpartie und die steif gestellten Hinterbeingelenke. Tragstabil wird das Pferd durch diese Übung nicht- ganz im Gegenteil.



Georg Engelbert von Löhneysen , der bei Pignatelli in Neapel gelernt hatte, dann widmet sich dem Thema „ Kunst-Stücke“ ausführlicher. Er verwirft rigoros alle die Dinge , die nicht dazu führen, dass das Pferd „ stolz und schön“ wirkt, etwas, wie er findet, was einem Reiter besonders gutes Ansehen verschaffe. Er arbeitet Dinge wie eine Vorstufe den Spanischen Grußes, der Jambette, bei der das Pferd ein Vorderbein heben soll. Auch dies hat keinen Selbstzweck: Löhneysen will dem Pferd hier erklären, wie es die Vorderbeine im Galopp , den Erhebungen und Sprüngen anziehen soll, er schult also im Stand das, was man Bascule nennt.  Ablegen, Hinknien oder Hinsetzen erklärt er ebenso wie Fayser mit einem „ Fallzeug“, nimmt aber deutlich Abstand von diesen Übungen : „ Obwohl diese Abrichtung mehr einem Gaukler alß einen erfahrnen Reuter gebühret, habe ich doch zur Nachrichtung solche kürzlich vermelden wollen“, schreibt er unter das entsprechende Kapitel in seiner „ Della Cavalleria“ ( Remmingen, 1609) So führt er so ausgebildete Pferde nur laienhaftem Publikum vor, die leicht beeindruckbar sind und von „ wahrer Reuterskunst“, wie er schreibt, womöglich sowieso überfordert. Denn auch hier liegen Gefahren:  Gerade das Sitzen birgt bei Hengsten und Wallachen immer die Möglichkeit, dass sich Teile des Darms in der Leiste verklemmen, was schwere Koliken mit möglichen Absterbungen des Gewebes, sogenannte Nekrosen nach sich ziehen kann. Für Löhneysen bringen diese Übungen ganz eindeutig nicht dem Pferd einen Benefit, er denkt hier moderner als so mancher Aussteller auf heutigen Shows und Messen: Dinge, die dem Pferd keinen Zugewinn verschaffen, mag er dem Pferd nicht antun. Er will kein laienhaftes Publikum begeistern, sondern das Pferd sinnvoll schulen, damit es seinen „ Job“ als Reitpferd souverän ausfüllen kann. Er will nicht der Natur des Pferdes zuwiderhandeln, das anders als Widerkäuer wie Rinder oder Ansitzjäger wie Katzen nicht gerne Liegen , sondern als Fluchttier seinen Instinkten zufolge immer in der Lage sein möchte, zu fliehen, versteht, dass diese Übung nicht immer ein Zeichen tiefen Vertraunes ist, sondern fot genug reiner Gehorsam. Er stellt hier ein der wichtigsten Fragen in der Ausbildung des Pferdes: Für wen bilde ich das Pferd aus? Für das Publikum? Oder für das Pferd?

 

Das  nicht ganz ungefährliche Hinsetzen...


...oder auch das für ein Fluchttier mitunter stressige Ablegen des Pferdes ist Löhneysen nicht unbekannt, er nutzt es jedoch nicht für die Ausbildung des Pferdes, sondern lehnt es eindeutig ab.


Zirkustricks sind für Löhneysen nur dazu da, um ein Laienpublikum, im Bild oben links, zu beeindrucken. Der "wahre Reutersmann" weiß ganz andere Dinge zu schätzen.



1660 dann erscheint in Wien in deutscher Übersetzung in Verlegung Michael Riegers ein Werk des neapolitanischen Reitkünstlers Graf Giovanni Baptsita Galiberto ,über die Reitkunst in der Manege. In „ Neugebahnter Tummelplatz und eröffnete Reit- Schul“ sehen wir die die Stiche Faysers fast unverändert bis hin zum kleinsten Detail wiederaufgelegt, allerdings verzichtet er komplett auf die Erklärung von Tricks wie dem Knien oder Liegen oder gar Sitzen und findet in seinen Worten wieder den Anschluss an die Lehre Grisones, erklärt, wie man das Pferd sinnvoll gymnastizieren könne, damit in der angewandten Reitkunst im Kampf das Pferd kraftvoll, beweglich und fein an den Hilfen steht.

 


Galiberto bildet das Pferd reell aus: die Hankegelenke sollen in Tätigkeit sein, das Pferd fein an den Hilfen stehen und in Selbsthaltung tragfähig sein.


Im Barock dann finden wir erstmals Dinge wie den Spanischen Schritt oder Spanischen Tritt beschrieben, jedoch mit ganz anderem Inhalt, als wir ihn heute kennen. Ausführlich schreibt hier Francois Robichon de la Gueriniere in seinem ersten Buch, der „ École de Cavallerie“. Unter „Spanischen Schritt“ versteht er  versammelnde Arbeit in Schulschritt und Schultrab,für ihn beides Möglichkeiten von dem, was wir heute Piaffe nennen: „ Der Spanische Schritt welchen man ehedem Passege nannte von dem italiänischen Spassegio, welches Spaziergang bedeutet, ist ein abgemessener, taktmäßiger Schritt oder Trab. Das Pferd muss in diesem Gang seine beiden, wie bei dem Trab ins Kreuz stehende und einander entgegengesetzte Schenkel, längere Zeit in der Luft halten, jedoch muss es viel taktmäßiger und erhabener als in gewöhnlichem Trab gehen, so, dass es bei jedem Schritt, den es tut, nicht mehr als einen Schuh vorrücke“.

 


Schritt oder Trab? Piaffe im Barock meinte Beides. Optisch oft nicht mehr zu unterscheiden ist der verschiedene Schwung in der Hand jedoch spürbar.


Die Piaffe, den stolzen Tritt  oder auch Spanischen Tritt, ein Produkt der Pilarenarbeit Pluvinels , die um 1600 in Frankreich erfunden worden war, ist eine Lektion, die Francois Robichon de la Gueriniere , sowohl in Schulschritt oder versammelten Trab beschreibt. Gueriniere beschreibt hier, was er beobachtet: manche Pferde spanischer oder neapolitanischer Zucht führen automatisch, wenn sie im diagonalen Takt versammelt werden, das Vorderbein gerade hoch, das, was wir heute optisch für den „ Spanischen Schritt“ halten. Biomechanisch gesehen ist diese Ausführung jedoch völlig anders, denn ein Pferd mit dieser Anlage wird das Vorderbein nicht aus Muskelkraft des Oberarmmuskels heben, während es mit den Schulterblättern die Wirbelsäule herunterdrückt , sondern dieser Bewegungsablauf entsteht über eine vermehrte Lastaufnahme durch die Hinterhand, so, wie es für das Pferd gesund ist. Zu Taktverschiebungen kommt es bei diesen Pferden nicht, sie halten konsequent die Diagonale . Anders, als wir es heute in der Ausführung bei nicht dazu veranlagten Pferden sehen, entsteht keine gleichseitige Beinbewegung, die in Richtung Passverschiebung die gesunde Bewegung der Wirbelsäule unmöglich machen würde.


Bis das Pferd in der Lage ist, die diagonale Phase des Schrittes auch im "modernen" Spanischen Schritt zu halten, ist Eingies an Vorübung notwendig.


Doch passiert im Pferd? Das Wahrzunehmen ist für viele Pferdebesitzer schwierig. Einerseits ist man mit dem eigenen Tun beschäftigt, anderseits ist es auch so, dass man sich oftmals wünscht, das etwas im Pferd passieren soll und dann nicht mehr objektiv wahrnehmen kann, was reell vorgeht. Dazu kommt oft mangelndes Wissen über das Lebewesen Pferd, seine Bedürfnisse, seine Bewegungsmöglichkeiten und seine Lernpsychologie, etwas, was Gueriniere als „ die wahre Natur des Pferdes „ bezeichnet, die es unbedingt zu erkennen gilt. Dabei habe Reitkunst Grundsätze, die vor allem intellektuell begriffen werden müssten „ Alle Wissenschaften und Künste haben Grundsätze und Regeln, die zu ihrer Vollkommenheit führen. Nur die Reitkunst allein scheint einer bloßen Übung zu bedürfen“, beklagt er den Fokus auf allein eine körperliche Ertüchtigung des Pferdes beim Arbeiten. „ Dieser Mangel an Grundsätzen hat die traurige Folge, das Anfänger in der Reitkunst nicht im Stande sind, dass Fehlerhafte von dem Vollkommenen zu unterscheiden . Sie haben kein anderen Hülfsmittel als die Nachahmung und unglücklicherweise ist es viel leichter, sich einer fehlerhaften Ausübung zuzuwenden als eine gute zu erlangen.“ Spanischer Schritt statt Piaffe mit einem spanischen Pferd, Hinsetzen oder Ablegen des Pferdes statt „ stolz und schön- Gueriniere wendet sich konsequent von diesen Dingen ab und verwirft sie ebenso wie Löhneysen, hält sie für Effekthascherei beim Laienpublikum . Aber: „ noch andere schließlich, die durch den anmasslich guten Geschmack des Publikum hingerissen werden , dessen Entscheidungen auch nicht immer Orakelsprüche sind, gegen welche furchtbare Wahrheit sich nicht aufzulehnen wagt, haben nach einer langen anhaltenden Arbeit kein anders Verdienst, als die schmeichelhafte und schimärische Genugtuung, sich geschickter wie andere zu wähnen “, greift er den Renaissance-Gedanke an „ Natura non artis opus “wieder auf. Wir sehen so bei Gueriniere Reitkunst nur um der Schönheit und Gesunderhaltung des Pferdes Willen, l`art pour l`art- die Kunst um der Kunst Willen. Durch vermehrten Gebrauch von Feuerwaffen im Militär hat Guerinieres Reiterei nicht mehr den Anspruch, einen anderen Zweck zu haben, als dem Pferd zu dienen und den Hof zu unterhalten.

 


Rein zum Vergnügen und zur Gesunderhaltung des Pferdes wird im Barock gearbeitet. Letzteres war unumgänglich, denn Reitkunstpferde waren kostspielig und wertvoll und sollten natürlich lange zu nutzen sein. Das müssen sie heute nicht mehr, wir trainieren Pferde zu ihrem, nicht unserem Nutzen.



Mit der französischen Revolution sehen wir eine große Veränderung in der Reitkunst, die nach 1800 eher daran interessiert ist, das Soldaten- und Campagnepferd zu schulen. Die große, individuelle Kunst der Reitmeister von Renaissance und Barock wird ebenso hinweggefegt wie die höfischen Reitbahnen und Manegen.

 

Reitkunst veränderte sich und auch der Ort der Ausübung wurde ein Anderer. Nachdem sich die gesamte Gesellschaftsordnung neu erschuf, blieb Vergnügen nicht mehr nur ein höfisches Privileg. Der Bürger wollte und konnte es sich plötzlich leisten, in seiner Freizeit Spaß haben und so wurden neue Einrichtung geschaffen. Eine davon war der Zirkus, in dem nun auch Reiterei gezeigt wurde; die Manége wurde kurzerhand vom höfischen Palast in das Zirkuszelt verlegt. Dort wurde ernsthaft gearbeitet und das „ Zirkusreiten“, das eigentlich „ Reitkunst im Zirkuszelt war“ brachte große Namen wie Baucher und Fillis hervor. Ein großer Nachteil war hier natürlich, dass die gesamte Wissenschaft hinter der Ausbildung des Pferdes der Kurzweil wich und es so zwangsläufig zu Verlust von Wissen um die Sinnhaftigkeit oder  Sinnlosigkeit  bestimmter Figuren und Bewegungen kann. Dies schuf eine Reihe von bloßen Nachahmern, die aber Grundsätzliches nicht mehr begreifen konnten und, nicht gerade zum Vorteil des Pferdes, eher nach der äußeren , ein Publikum beeindruckenden Form sucht, statt sich mit Sinn und Sinnhaftigkeit bestimmter Bewegungen auseinanderzusetzen.

 


Einer der berühmtesten Reitkünstler in der Zirkuskuppel: Francois Baucher. Ein herabgestürzter Kronleuchter beendete seine glänzende Karriere und er mußte nach seinem Unfall mühsam neu lernen


 Nur wenige Einrichtung behalten noch den alten Geist von Xenophon, Grisone, Pluvinel und Co. , besonders in der Spanischen Hofreitschule in Wien wird weiter traditionell gearbeitet. Die Familie Weyrother sei hier besonders erwähnt, die in mehreren Generationen dazu beigetragen haben, dass Reitkunst fortlebte. Maximilian von Weyrother verfasste unter Anderem die heute noch gültigen Statuten, sein Grossvater Adam von Weyrother war mit Gueriniere persönlich in Kontakt und Austausch. Obwohl Weyrother in Wien lebt und lehrt, finden wir bei ihm wieder die Arbeit am „ Vortheil“, dem Podest, das in seiner optischen Gestaltung ganz stark an das erinnert , was wir heute aus der Zirkusmanege kennen. Ein Zufall ist das nicht, denn das „ maneggiare“ der Alten Meister wandert zu Zeiten Weyrothers, wenn natürlich auch nicht bei ihm selber,  außerhalb der wenigen altehrwürdigen Hofreitschulen in die Manege des Zirkuszeltes.

 


Gottlieb von Weyrother mit einm Lipizzanerhengst in der Schulparade. Auch wenn das Podest,a uf dem er steht, ganz nach Zirkus aussieht, ist die Arbeit Weyrothers alles andere als ein Ansammlung von Tricks: wie sein Bruder Max Ritter von Weyrother wird der Geist der alten Reitbahnen auch nach der französischen Revolution hochgehalten Bildquelle: wikipedia


Das berittene Militär spielt zu dieser Zeit wieder eine Rolle, jedoch ganz anders als zu Zeiten der Renaissance: statt gerittene Manöver im Einzelkampf mit der Blankwaffe werden große Truppen im Gleichmass der Bewegungen geschult und durch Masse soll Überlegenheit demonstriert werden. Oftmals jedoch wurden Reiter und Pferd hier zu „ Kanonenfutter“ geschult, blinder Gehorsam galt als Tugend und erstrebenswert auf Seiten von Soldat und Pferd , was eine Rücksichtnahme auf individuelle Bedürfnisse unmöglich und auch sinnlos machte. Für eine lange Ausbildung des Rekruten bestand weder Zeit , noch Anlass. Reitkunst , die im Zirkus weiterlebte, diente nur noch der Erbauung des Publikums und wurde mehr und mehr zur reinen Show und wurde damit zur „ Zirkusreiterei“ in den Augen des Militärs. Der Sinn hinter der Hohen Schule geht zunehmend verloren und die Schulhengste alter Zeiten können nicht mehr als Inspiration dienen. Auch die Pferdezucht ändert sich immer mehr, die Pferde der Alten Meister zeigen ihre „zierlichen“ Bewegungen nur noch in alten Lithografien und auf den Gemälden in den Museen und gelten damit als unmodern und überholt. Doch ganz trennen lassen sich die Welt des „ fahrenden Volkes“ des Zirkus wohl doch nicht vom modernen Militärreiten: noch Seunig schreibt 1943 über den Wunsch eines jeden Reiters, die Einerwechsel im Galopp zu reiten, eine Lektion, die „ Zirkusreiter“ Baucher als sein Erbe in der Reitkunst geltend machen kann. Wir finden diese Übung sogar heute noch in den modernen Turniervorgaben in der Dressur.

 



So ist es kein Wunder, dass die Reitkunst der Alten Meister, die nur noch an wenigen Stellen überlebte, mehr und mehr in Vergessenheit geriet. Hier haben wir heute ein Problem: der moderne Freizeitreiter, der sich oft  bewußt von den Zwängen allen Militärischen abwendet, hat oftmals keine Orientierung dafür, was er neben dem „üblichen“ Reiten mit seinem Pferd machen könnte, um mit ihm gemeinsam eine gute Zeit zu verbringen. Er möchte den geliebten Freizeitpartner sinnvoll beschäftigen und fühlt sich oft vom Gedanken der kurzweiligen Gestaltung der gemeinsamen Zeit durch „Zirkustricks“ angezogen, zumal die meisten Pferde Dinge wie den Spanischen Schritt, Hinknien, Sitzen und Ablegen schnell verstehen und auch offenbar sehr freiwillig anbieten, „ Erfolg“ stellt sich schnell ein. Das scheint also ganz mühelos und leicht zu gehen, dann kann es doch nicht falsch sein, denkt man dann vielleicht schnell.  Doch ist der Mensch hier nicht gefragt, das Pferd vor dem zu bewahren und nicht noch zu verstärken, was dem Pferd langfristig eventuell mehr schadet als nutzt? Ist es nicht unsere Pflicht, uns genau darüber zu informieren, was das, was wir tun, mit unserem Pferd macht, ganz im Sinne Guerinieres und Löhneysens?

 


Es muss nicht immer alles schwer und ernst sein, aber der Spaß muss für beide Partner, Mensch und Pferd , entstehen.


Wie zu keiner anderen Zeit in der gemeinsamen Geschichte von Mensch und Pferd haben wir heute  das Privileg, auswählen zu können, wie wir unsere Pferde ausbilden wollen.  Wir haben  durch unseren hohen Bildungsstandard- die meisten Menschen in unserem Kulturkreis sind des Lesens mächtig- umfassend die Möglichkeit, die traditionellen Lehren der Reitkunst aus Renaissance und Barock wieder zu studieren und ins Leben zu bringen. Dazu muss man nicht blind „ nachturnen“, was manchmal auch ganz zu Recht im Laufe der Jahrhunderte verworfen wurde, aber wir sind in der glücklichen Lage, endlich wieder das „ Warum“ und das „ Wie“ zu verstehen und für unsere modernen Pferde unter unseren heutigen ethischen Grundsätzen von gelebtem Tierschutz das zu auszuwählen und zu leben, was unseren Pferden gut tut. „ Natura non artis opus“ ist keineswegs eine eingestaubte, sondern die wichtigste Idee, wenn wir Pferde ausbilden. Tricks dürfen nicht den Laien beeindrucken, sondern Schulung muss dem Pferd ein Zugewinn an Körperintelligenz und Bewegungskompetenz verschaffen,  Übungen dürfen ihre Sinnhaftigkeit für das Pferd nicht verlieren, wenn das Pferd nach heutigen moralischen Ansprüchen geschult wird, auch dann, wenn dieser Weg deutlich länger und für den Menschen beschwerlicher ist. Alles, was dem Pferd nicht nutzt, sondern sogar schadet, weil es ihm  Stolz und Schönheit nimmt, muss gerade heute als unethisch verworfen werden, weil es seiner Natur nicht entspricht oder ihm diese schlimmstenfalls sogar in diesem Moment nimmt. Der Mensch darf es sich auf keinen Fall zu Lasten des Pferdes leichtmachen, das sollte man gerade heute immer bedenken und im Sinne des Pferdes entscheiden.