Der verflixte Fun-Faktor


Ein Pferd mit einem solchen Rücken ist nicht reitbar, es leidet Schmerzen! Therapeutische Hilfe und ein angemessener Trainingsplan sind unbedingt nötig, um diesen Zustand zu beseitigen.


Pferde sind laut Gesetz Nutztiere. Man kann sie stundenweise mieten ( was bei keinem Wellensittich der Welt möglich wäre- von Hunden und Katzen ganz zu schweigen), sich von ihnen tragen lassen, sie als beturnbare Unterlage im Voltigiersport gebrauchen oder sie einsetzen, um das eigene Selbstwertgefühl aufzupolieren, indem man Pokale und Schleifen sammelt, „ jemand ist“. Wir nutzen sie zu unserem „Fun-Faktor“ , verkleiden sie von Kopf bis Huf, verleihen sie, verkaufen sie, sobald sie unseren Ansprüchen nicht genügen oder uns schlicht nicht glücklich machen- obwohl sie doch bei dem vielen Geld, das sie uns kosten , mindestens dafür nützlich sein sollten. Wir nutzen sie, so wie wir wollen, lassen ihren Wert und ihre Qualitäten von Wildfremden auf Zuchtschauen taxieren und bewerten. Weil es alle so machen.

Weil man gar kein schlechtes Gewissen haben muss, wenn es alle so machen?

 

Dazu werden sie oftmals in einer Box gehalten, die in etwa im Größenverhältnis so wäre, als würde man einen Dackel im Umzugskarton halten- 23 Stunden am Tag, ohne Sozialkontakt, ohne die Möglichkeit, sich ihrer Natur gemäß zu bewegen. Eine Stunde am Tag werden sie reiterlich genutzt- was leider oft genug ebenso absolut nichts mit natürlichen Bewegungsabläufen zu tun hat. Jungpferde werden dreijährig geritten, obwohl sie weder körperlich, noch geistig in der Lage sind, diese Aufgabe zu erfüllen. Die einzig vorbereitende „Bodenarbeit“ hat dazu gedient, das Pferd klein zu machen und den Menschen sich groß fühlen zu lassen. Die „Rangordnung“ soll geklärt werden- oft genug traumatisierend für Pferde, die sich mit unserer grobmotorischen Körpersprache sowieso schon schwer tun, auch ohne dass wir mit Armen und Beinen wedeln oder Stricke und Stöcke schwingen. Pferde, die bei solcher Reizüberflutung entweder nervös und panisch oder starr vor Schreck werden und für beide „Fehlverhalten“ abgestraft werden.

Von Dialog mit dem Partner Pferd keine Spur. Weil der Mensch nicht mit dem Pferd spricht, sondern sinnlos und oft genug widersprüchlich schreit. Pferdeflüstern ist schwierig, Pferdezuhören ist noch viel schwieriger.

Degenerative Krankheiten wie Arthrosen , Sehnenleiden , Störungen im natürlichen Bewegungsmuster wie Zügellahmheit, Taktfehler oder auch die Trageerschöpfung lassen da nicht lange auf sich warten, vor allem Letztere sticht beim Blick über mehr als der Hälfte ( !!!) der Reitpferde ins Auge. Hierbei handelt es sich keineswegs um eine Modediagnose, sondern um eine ernstzunehmende Erkrankung des Pferdes an Körper und Seele.

 

Eine solche hat das Pferd neben dem „nützlichen“ Körper nämlich ebenfalls- was irgendwie oftmals in Vergessenheit zu geraten scheint. Pferde können, ebenso wie Menschen, ernsthaft psychisch erkranken, sie werden dann verhaltensauffällig, wehren sich beim Reiten, werden „schwierig“. Solange sie sich noch trauen. Viel mehr Pferde jedoch leiden still und werden immer stiller. Werden sie nicht gehört, werden ihre Bedürfnisse konsequent hinter die Bedürfnisse des Menschen gestellt, wird ihnen jede Hoffnung auf Liebe genommen, dann brechen sie.

Zuerst sieht man das am Auge. Dann an der Mimik, die Pferde , wenn sie denn dürfen, deutlich zeigen. Und dann verändert sich der Körper. Ein Pferd zu reiten, obwohl es eindeutig Zeichen von Erschöpfung oder Degeneration zeigt, ist laut Gesetz tierschutzwidrig. Man fügt willentlich dem Pferd Schmerzen zu und das, so der Gesetzgeber, ist verboten.

 

Ein Pferd zu haben, das bedeutet viel mehr, als sich ein Pferd leisten zu können.

 

Ein Pferd zu haben, das bedeutet von einem Wesen Demut zu lernen, das uns viel mehr über Menschlichkeit beibringen kann, das uns viel mehr kultiviert, als wir das untereinander können. Das bedeutet mit jemandem zusammen zu sein, der einem in die Tiefe unserer Seele blickt und uns – trotzdem- für liebenswert erachtet. Das bedeutet, Umgang haben zu dürfen mit einem Wesen, das uns Tugenden lehrt wie Ritterlichkeit, das Einstehen für Schwächere, Ehrlichkeit, Verzeihen ,Verzicht, Wertschätzung des Gegenübers einfach dafür, das es ist. Ohne Leistung, ohne Ellenbogen, ohne Missgunst oder Neid, denn all das sind eher menschliche Eigenschaften. Das stärker ist als wir und sich für uns schwach macht- weil es höflich und freundlich ist.

Für dieses Geschenk haben wir die Pflicht, uns um unsere Pferde zu kümmern. Um ihr körperliches Wohl mit entsprechender Bewegung, adäquate Fütterung und, ganz wichtig, Versorgung der Hufe, Zähne, medizinischer und therapeutischer Art. Um die beste Versorgung sicherzustellen ist es unverzichtbar, sich selber intensiv mit dem Thema Haltung, Fütterung, Hufbalance, Verwendung und Einsatz von Zäumungen und vor allem der gesunden, pferdegerechten Ausbildung auseinanderzusetzen. Entscheiden wir uns dafür, das von der Natur nicht dafür vorgesehene Pferd reiten zu wollen, dann haben wir die Pflicht es so zu reiten, dass es keinen Schaden nimmt. Und uns stets zu erinnern, dass kein Pferd als Reitpferd zur Welt kommt.

Wir haben ebenso die Pflicht, uns um ihre Seele zu kümmern. Bilden wir ein Pferd aus, schulen wir immer den Geist, nicht den Körper. Dazu gehört es, dem Pferd zu danken. Es wertzuschätzen, nicht für seine Leistung, sondern weil wir es ohne Bedingungen so lieben, wie es ist. So, wie das Pferd es auch mit uns tut.

 

Wir haben die Pflicht, uns zu bilden. Wir haben die Pflicht, stets zu reflektieren. Wir haben die Pflicht, wirklich hinzusehen und uns nicht selber zu täuschen. Auch dann, wenn es Mühe macht, anstrengend ist, unbequem oder sogar bitter.

 

Pferde sind nicht zum Nutzen da. Pferde sind da- und das ist auch gut so.

 

Stefanie Niggemeier

 

 


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